Potentiale entfalten
von Rainer Simon
Erschienen in: Recherchen 101: Labor oder Fließband? – Produktionsbedingungen freier Musiktheaterprojekte an Opernhäusern (02/2013)
Sind die an traditionellen Opernbetrieben engagierten Solosänger für die Produktion freien Musiktheaters geeignet? Die Antworten der Befragten reichen von einem tendenziellen „Ja“ über ein „Es hängt von der individuellen Sängerpersönlichkeit ab.“ bis hin zu einem klaren „Nein“. Innerhalb dieses Meinungsspektrums erscheint zunächst einmal dreierlei von Bedeutung: Erstens gibt es einige wenige Sänger, die bereit und fähig sind, sich auf viele unterschiedliche Experimente einzulassen. Zweitens fand beim Gros der Sänger innerhalb der letzten 15 bis 25 Jahre ein Generationenwechsel statt, infolgedessen jene gegenüber szenischen Konzeptionen offener sowie musikalisch und vor allem auch darstellerisch agiler und flexibler geworden sind. Diese Öffnung und Flexibilisierung lassen zwar auf weitere Entwicklungen hoffen, enden derzeit allerdings drittens an den Grenzen des „Regietheaters in der Oper“. Für wirklich freie Formen, in denen etwa die Struktur der Stücke aufgebrochen, die dramatische Kategorie der „Figur“ aufgelöst und das Illusions- beziehungsweise Repräsentationstheater radikal hinterfragt werden, mangelt es dem Großteil der Sänger nach wie vor an Kompetenzen und Offenheit.
So konzentrieren sich die meisten Sänger trotz Generationenwechsels nach wie vor auf ihre gesanglichen Fähigkeiten, was diverse Defizite im Sprechen, Tanzen und Spielen nach sich zieht. Insbesondere die schauspielerischen Anforderungen freier Musiktheaterarbeit, das Anwenden verschiedener Spieltechniken (zum Beispiel die Herstellung eines Bruchs)...