Reenacting History: Das Theater der Wiederholung
von Günther Heeg
Erschienen in: Recherchen 109: Reenacting History: Theater & Geschichte (02/2014)
Abschied von gestern
Ein Reenactment ist nach dem Verständnis der Liebhaber dieser populären Form der Geschichtsaneignung die Wiederaufführung eines genau umrissenen historischen Ereignisses, z. B. der Schlacht von Gettysburg, einer der blutigsten der amerikanischen Geschichte und Wendepunkt des amerikanischen Bürgerkriegs. In einem Reenactment der Schlacht kommt es darauf an, das historische Geschehen so detailgetreu wie möglich nachzustellen, in Uniformen, deren Materialien denen zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs entsprechen, und mit Gewehren, die exakt auf dem technischen Stand von damals sind. Der immersive Historismus dieser populären Praxis, das Versprechen des Eintauchens in die Zeit eines historischen Ereignisses, wurde jahrzehntelang von Seiten der Wissenschaft und Kunst belächelt oder kaum beachtet. Erst mit dem Geschichtsboom, der seit der Jahrtausendwende eine lang andauernde Hausse erlebt, wurde das Reenactment ein Gegenstand, eine Form und eine Praxis, mit der sich Künstler und Wissenschaftler bis in die Gegenwart beschäftigen und auseinandersetzen. Die Resultate der künstlerischen Reenactments, die in den vergangenen gut zehn Jahren entstanden sind, und der Grad der theoretischen Reflexion dieses Phänomens fallen äußerst unterschiedlich aus. Das hat zum einen zu tun mit der Nähe oder reflektierten Distanz der künstlerischen Praxis des Reenactments zu den angeführten Basisregeln der populärkulturellen Reenactments. Zum anderen mit vorherrschenden Theoremen und...