Ein Theater für alle
von Milo Rau
Erschienen in: Die Enthüllung des Realen – Milo Rau und das International Institute of Political Murder (11/2013)
Milo Rau
Hinter der seit vielen Jahren betriebenen, feinsinnigen Kunstübung der Repräsentationskritik erheben die gesellschaftlichen Realitäten selbst ihr Haupt und fordern ihr demokratisches Recht. Die Frage ist nicht mehr, ob man dieses oder jenes Theater, diese oder jene Partikularregelung befürwortet, sondern ganz schlicht folgende: ob man immer mehr Menschen gegen ihren Willen und gegen die Verfassung in eine Zweiklassengesellschaft und ihre überholten Mythen integrieren oder die Demokratie und mit ihr die reale Schweiz zur Entfaltung bringen will. Ob man gegen die oder mit der Bevölkerung Kunst, Theater, Politik machen will. Und wie eine heutige demokratische Kunst und Politikpraxis überhaupt aussehen kann. Neben den notwendigen Marsch durch die Institutionen (und ihren konsequenten Umbau, wie ihn Mark Terkessidis in seinem Konzept der „Interkultur“ vorschlägt), neben die Frage nach Quoten, der Öffnung des Theaters für die unzähligen interkulturellen Projekte und schließlich nach neuen Archiven und einem neuen Kanon tritt damit die grundsätzliche Forderung nach einer Rückbesinnung des Theaters auf sich selbst.
Vergessen wir nicht, dass es das Theater war, das im 18. Jahrhundert gegen alle Widerstände eine ästhetische (damals bürgerliche) Öffentlichkeit behauptete, dass es das Theater war, das sich über scheinbar eherne künstlerische Gesetze und die damit verbundenen Vorurteile radikal hinwegsetzte. Es war...