Requiem im Schatten der bewältigten Nacht
Zwischenspiel: Ein Blick hinter die Kulissen
von Hanne Seitz
Erschienen in: Poesie, Heimat und Politik – Theater Willy Praml (05/2024)
Wozu darauf zurückkommen?
Warum nicht da reinen Tischen machen?
Warum nicht von heute reden?
Aber der den großen Sprung machen will,
muß einige Schritte zurückgehen.
Das Heute geht gespeist durch das Gestern in das Morgen.
Die Geschichte macht vielleicht einen reinen Tisch,
aber sie scheut den leeren.
(Bertolt Brecht, 1953)
Frankfurt am Main, 11. September 1985: Durch die zum Grüneburgpark hin geöffnete Vorderseite eines großen Zeltes sieht man – anfänglich kaum sichtbar, in fahles Licht getaucht und von Schönbergs Verklärte Nacht getragen – dunkle Gestalten von weit hinten im Gelände langsamen Schrittes nach vorne schreiten. Gleich einer Prozession erinnert der schweigende Aufmarsch an jene von Kopf bis Fuß schwarzgewandeten Bruderschaften, die alljährlich in der Karwoche im italienischen Sorrent das österliche Ritual begehen. Nur leuchten hier keine Fackeln, sondern die allmählich sichtbarwerdenden Gesichter. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis der Zug die Bühne im Zelt erreicht. Was hier, wie alsbald zu hören ist, zu Fronleichnam begangen wird, mutet an wie ein Trauerzug, der auf geschehenes Unheil verweist. Es ist das Vorspiel zu dem Theaterstück Sein Blut komme über uns. Requiem im Schatten der bewältigten Nacht, welches sich den zwölf Jahren Naziherrschaft in einem hessischen Dorf widmet. Ein wahrhaft mühseliges Unterfangen,...