Rezension
Bestandaufnahme
„Der Dinge Stand“: Endlich fragt ein neues Arbeitsbuch nach dem Status quo des Figuren- und Objekttheaters
von Tobias Prüwer
Erschienen in: double 38: Face-Off – Politiken von Gesicht und Maske (11/2018)
Assoziationen: Buchrezensionen
Vor fast 20 Jahren erschien im Verlag Theater der Zeit ein Arbeitsbuch, das die „Animation fremder Körper“ erkundete. Seitdem hat sich die Kunstsparte rasant entwickelt. Das Figurentheater fand nicht nur größere Publikumskreise, sondern zog als künstlerisches Mittel auch zunehmend in Sprechtheater- und Musiktheaterproduktionen ein. Und gerade das Puppen- und Materialtheater hat sich vielfach als produktive Schnittstelle zu anderen Künsten, als Übersetzer, Überbrücker und Verbinder erwiesen. Die damals noch in Abgrenzung von den klassischen Theatersparten auch als „Das Andere Theater“ benannte Theaterform hat sich durch Versuch und Experiment, Ausdauer und Beharrlichkeit in viele Facetten ausgefächert. double-Leser wissen das. Und trotzdem wurde es Zeit, all dem in einem neuen Arbeitsbuch nachzugehen.
„Der Dinge Stand“ titelt dieses recht lapidar und beinhaltet doch eine Fülle von anregenden Texten über das Sujet. Wie in der Vorgängerpublikation werden ziemlich viele grundsätzliche Fragen verhandelt oder mindestens angeschnitten, was über manch eher chronistisch ausgeführte Texte hinwegtröstet. Die behandelten Themenkomplexe lassen sich grob in die Bereiche Formen des Erinnerns, politischer Protest, Transitzonen, (künstliche) Körper, Digitales und Robotik einteilen – wobei sich die Themen an vielen Stellen berühren und überschneiden.
Die anhaltende Frage nach Manipulation und Beherrschbarkeit stellt sich dabei auf mehreren Ebenen. Hier wird der Status des Objekts immer mit befragt. Was sagen hinterlassene Gegenstände aus, was können sie uns – den Hinterbliebenen – bedeuten? Welche Produktivitäten lassen sich Objekten abgewinnen, die sich sperren? Kann man Puppen überhaupt etwas aufzwingen oder folgen die Spielerkörper nicht vielmehr diesen wie ein Tänzer einer unsichtbaren Choreografie? Was passiert mit dem Körper hinter der Puppe? Wie anwesend ist er, auch wenn er kaschiert und unsichtbar ist? Und was offenbaren Mensch-Figuren-Körper-Hybride? In welche Schattierungen zwischen den Polen Realismus/Menschenhaftigkeit und Artifizielles/Freierfundendes diffundiert das Figurenspiel künftig aus, geht es um Nachahmung oder Eigenständigkeit?
Dass ein Schwerpunkt dabei auf dem Spektrum Roboter/Maschinenlogik/Künstliche Intelligenz ruht, liegt angesichts der technologischen Entwicklung der letzten Jahre auf der Hand. Auf ganz andere Weisen wird dadurch das Animieren toten Materials und fremder Körper möglich. Und die Frage stellt sich, ob damit auch eine neue Qualität verbunden ist und vielleicht auch die Vorstellung einer einfachen Subjekt-Objekt-Beziehung hinterfragt werden muss. Längst ist von intelligenten Gegenständen und smarten Objekten die Rede, reden Wissenschaftssoziologen wie Bruno Latour einem „Parlament der Dinge“ das Wort.
Stimmt es, dass die Dinge – besonders die technischen – neutral sind und damit objektiv? Bergen sich in ihnen nicht schon verschiedene Potenziale in puncto Bewegung und Bedeutung; und welchen Einfluss kann das auf die Objekttheaterkunst haben? Das Wesen der technischen Dinge zeigt sich ja erst dann, wenn sie nicht funktionieren. Mit wie wenig Mitteln man etwas bewirken kann beim Publikum, zeigt ein Beitrag am Beispiel der Dramaturgie des Schalters. Schon seine Anwesenheit auf der Bühne erzeugt eine Erwartungshaltung: Wird er gedrückt oder nicht, was passiert?
Viele Texte sind als Gespräch gestaltet, was das Arbeitsheft leicht zugänglich macht. Die Protagonisten sind nicht auf den deutschsprachigen Raum beschränkt, auch wenn das Gros hier aktiv ist; die zweisprachige Ausgabe (Deutsch und Englisch) sorgt für den Anschluss an internationale Diskussionen. Gedankenspiele finden sich mit anschaulichen Beispielen wie Rezensionsskizzen und Beschreibungen geerdet, sodass Kopflastigkeit nicht aufkommt. Viele großformatige Fotos halten optisch dokumentierend diesen aktuellen Stand der Dinge fest – und bilden zugleich das visuelle i-Tüpfelchen dieser gelungenen Gesamtschau.
Der Dinge Stand | The State of Things. Zeitgenössisches Figuren- und Objekttheater | Contemporary Puppetry and Object Theatre. Herausgegeben von Annette Dabs und Tim Sandweg. Theater der Zeit – Arbeitsbuch 27. Paperback mit 180 Seiten, mit zahlreichen farbigen Abbildungen, Deutsch / Englisch.