1. Die Grenzen des Diskurses
von Wolfgang Engler
Erschienen in: Authentizität! – Von Exzentrikern, Dealern und Spielverderbern (03/2017)
Es ist nun einmal kein Privileg mehr,
sich öffentlich zu äußern. Jeder kann
im Netz die Klappe aufreißen, auch die
weniger gut Gescheitelten.
Cora Stephan
(Neue Zürcher Zeitung, 2016)
1. Die Grenzen des Diskurses
„Die Angst geht um auf dem amerikanischen Campus, die Angst der Lehrenden vor ihren Studenten. Schon das männlich konnotierte Wort ‚Student‘ birgt, im Deutschen zumindest, was man in den USA eine ‚microaggression‘ nennt – einen Mini-Gewaltakt mithin, der die Frauen eliminiert. Mini-Aggressionen sind sprachliche Wendungen, die als verletzend aufgefasst werden könnten. Nach Campus-Richtlinien gehört dazu etwa die Frage, wo man geboren wurde – weil sie impliziere, der oder die Befragte sei womöglich kein(e) richtige(r) Amerikaner(in). Der Satz ‚I believe the most qualified person should get the job‘ steht bei kalifornischen Hochschulen ebenso auf dem Index wie ‚America is the land of opportunity‘. Immerhin könnte Letzteres andeuten, dass, wer seine Chance nicht ergreift, selber schuld sei.
In Harvard verlangen Jura-Studentinnen neuerdings, dass das Thema Vergewaltigung aus dem Lehrplan gestrichen wird, weil es Traumata wiederbeleben könnte. Es gibt Studierende, die schon das Wort ‚violation‘ (wie in ‚violates the law‘) für unzumutbar halten. An der Northwestern University wurden ‚safe spaces‘ für diverse Identitätsgruppen eingerichtet, die keiner sonst...