Der blinde Fleck des Liberalismus
von Bernd Stegemann
Erschienen in: Das Gespenst des Populismus – Ein Essay zur politischen Dramaturgie (01/2017)
Der liberale Populismus ist der Politikstil, der die Paradoxien der offenen Gesellschaft unsichtbar macht. Der liberale Populismus scheint in der Merkelschen Ausprägung vor allem durch die Kombination des biopolitischen Regimes mit der Austeritätspolitik erfolgreich zu sein. Die biopolitischen Regeln werden nicht nur in den alltäglichen Lebenskämpfen eingeübt, sondern sie funktionieren vor allem darum so gut, weil die gesellschaftlich fortschrittlichen Kräfte die Verbesserung des Lebens in der Stärkung persönlicher Rechte und Ansprüche sehen. Solange die Ansprüche des Egos befriedigt werden, gerät die strukturelle Gewalt der Eigentumsverhältnisse aus dem Blick. Je dichter die Fassade der biopolitischen Perfektionierungen wird, desto weniger ist ein Blick auf die dahinter versteckte Gewalt möglich. Darum ist der Fortschritt aller identitätspolitischen Bewegungen, die für die Rechte z. B. von Minderheiten eintreten, weniger eindeutig gut, als es von dieser Seite behauptet wird. Das Problem an der Identitätspolitik ist nicht, wie der Rechtspopulismus behauptet, dass damit womöglich zu viel symbolische Macht in die Hände von Randgruppen gerät und die angestammten Machthaber aus der Mitte der Gesellschaft verdrängt werden. Diese Umverteilung wäre aus linker Perspektive ein begrüßenswertes Ziel. Das Problem liberaler Identitätspolitik ist deutlich komplizierter.
Die Erfolge auf diesem Gebiet sind vergleichsweise leicht zu erringen, wenn eine Mehrheit bereits nach biopolitischen...