Gegenwart II – Die Literatur, die Puppe, das Zeigen
von Jörg Lehmann
Erschienen in: Lektionen 7: Theater der Dinge – Puppen-, Figuren- und Objekttheater (10/2016)
In diesem abschließenden Kapitel zur Historie unseres Gegenstandes sollen unter den Schlagworten Zweite Literarisierung, Wieder- und Neubegegnung und Sichtbarmachung drei auffällige Phänomene betrachtet werden, die – neben den im vorigen Kapitel beschriebenen Bewegungen und Innovationen – einerseits das Bild des Theaters der Dinge seit etwa fünf Jahrzehnten prägen und andererseits die Darstellungskunst des Theaters insgesamt produktiv herausfordern. Die Benennung dieser Phänomene macht es möglich, eine Geschichte zu erzählen, in der die Puppenspielkunst mit den ersten beiden Aspekten innerhalb einer dramatisch verorteten Tradition sprichwörtlich abgerissene Fäden wieder verknüpft und damit Linien einer Entwicklung weiterschreibt, in der sie die innovativen Herausforderungen einer dramatischen Literatur mit den ihr zugewachsenen Mitteln neu aufnimmt. In diesem synergetischen Geschehen steht das Ding in der Variante der menschenähnlich (anthropomorph) gestalteten Puppe im Fokus.
Mit dem Begriff der Sichtbarmachung schließlich wird eine übergreifende künstlerische Strategie der Kreation im Theater der Dinge beschrieben, die, so die These, wegweisend für das Theater insgesamt sein kann.
Zweite Literarisierung: Neues Spiel mit neuer Literatur
Das Puppenspiel hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die dramatische Literatur im deutschsprachigen Raum neu für sich entdeckt. Das geschah nicht voraussetzungslos. Unter anderem ausgelöst durch das beispielgebende Gastspiel des russischen Puppenspielers Sergei Obraszow 1950/51, der...