Wie geht ein Zeitalter zu Ende? Idealerweise in Schönheit. Aber der Lack hat Risse, die Schönheit ist nicht viel mehr als ein kostbares Kostüm. Es wird nicht getragen, sondern – im Gegenteil – es selbst trägt nun den Menschen, den es kleidet, wie ein Korsett. Eine Weile noch. Dann rufen sie alle: „Der Kaiser ist ja nackt!“, egal in welchen Mantel er sich jetzt noch hüllt. Keine Maske verbirgt mehr sein wahres Elend.
Tom Kühnel und Jürgen Kuttner haben mit „Agonie“ ein „zaristisches Lehrstück“ auf die Bühne gestellt. Das klingt merkwürdig, aber es hat die entscheidende Frage im Blick: Wie bereitet eine alte Ordnung der neuen (über die inzwischen auch längst die Zeit hinweggegangen ist) den Boden? Damit das nicht mit einem Urania-Abend verwechselt wird, stürzen sich Kühnel & Kuttner mutig ins Artifizielle. Sie collagieren nach Kräften, schließlich sind die realen Personen, die hier auftreten, längst tot. Dies hier wird zur Fahrt auf der Gespensterbahn der russischen Geschichte. Und wie in jedem echten Lehrstück singt dazu Ernst Busch: „Du musst die Führung übernehmen!“ Die Kampflieder kommen vom Band, Playback werden sie bereits dem neu geborenen Zarewitsch (Moritz Grove) in den Mund gelegt: ein todgeweihter Bluter, bei dem der Mönch Rasputin...