Theaterkritik farbig
Erschienen in: Theater der Zeit: Theaterwissenschaft – Wissenschaft vom Leben (01/1948)
Assoziationen: Wissenschaft Theaterkritiken
Von jeher haben sich unsere abendländischen Dichter und Bühnenschriftsteller mitunter darüber beklagt, daß ihnen durch die Kritik der Weg zum frühen oder oft auch späten Ruhm verlegt worden sei. Wenn diese Poeten einmal Gelegenheit gehabt hätten zu erfahren, was Theaterkritik bei Völkern bedeutet, auf die Jahrhunderte hindurch ein wenig verächtlich herabgesehen worden ist, dann hätten sie ihr vermeintliches Los bestimmt leichter ertragen.
Das Theater und das Theaterspielen ist bei den sogenannten exotischen oder farbigen Völkern viel älter als im Abendland. Wo wir bei unsern Reisen durch die Wohngebiete solcher Völker aus Überlieferung mündlicher oder schriftlicher Art feststellen konnten, wie sich die Öffentlichkeit gegenüber diesem Theater und seinen Autoren verhalten hat, mußten wir zu der sicheren Überzeugung kommen, daß diese Autoren einer ganz anderen, aggressiveren und persönlicheren Art der Kritik an ihren Werken und oft auch an ihrer Person zu· kämpfen hatten, als das jemals im Abendland der Fall gewesen ist.
Diese Zustände im Theaterleben der farbigen Völker haben sich bis heute verhältnismäßig wenig geändert. Der „Theaterkritiker“ ist bei diesen Völkern eine Erscheinung, die ungleich mehr Einfluß auf das Publikum und damit auf die Empfangsbereitschaft der Öffentlichkeit gegenüber alten und neuen Theaterwerken hat, als wir das in unseren Wohngebieten jemals kennengelernt...