Ausblick: Vom Körper zur Sprache
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Das Reale der Perspektive – Der Barock, die Lacan’sche Psychoanalyse und das ‚Untote‘ in der Kultur (07/2013)
Fast unmerklich haben diese Überlegungen nun vom Feld des Sehens in das des Sprechens übergeleitet. Im folgenden Kapitel wird es darum, vor allem mit Blick auf den deutschsprachigen Barock, um die Falte in der Sprache gehen, die sich strukturell analog zu der im Optischen verhält. Zuvor möchte ich aber noch einige Anmerkungen zu den historischen Bedingungen des Sprachbarock machen.
Zu Beginn dieses Kapitels habe ich darauf hingewiesen, dass die Einrichtung der europäischen Nationalstaaten auf die Herauslösung des menschlichen Körpers aus dem zerbrechenden Ähnlichkeitskosmos um 1600 reagiert. Die moderne Zone des Politischen installiert sich in der Gemengelage zwischen der Auflösung des kosmischen Ordnungsgefüges und der neuzeitlichen Eingrenzung des Leiblichen. Eben darum finden sich die Themen körperlicher Zerstückelung und anamorphotischer Entstellung auch in den politischen Selbstbeschreibungen des Zeitalters wieder: Für die untereinander erheblich differierende Verfasstheit der Staaten des 17. Jahrhunderts ist die je spezifische Art und Weise entscheidend, in der sie den Bezug heterogener, unverbundener Bruchstücke – ihrer Territorien bzw. ihrer Einwohner überhaupt – auf ein zentrierendes Prinzip organisieren. Ein Angriff auf dieses lebenswichtige Element kommt daher einem Mordversuch am gesamten »Staatskörper« gleich. So wird die Hinrichtung Karls I. in England am 30. Januar 1649 in Gryphius’ 1657 geschriebenen Trauerspiel »Carolus Stuardus«...