Theater der Zeit

Vorbemerkung zur spanischen Übersetzung

von Judith Maiworm

Erschienen in: Recherchen 107: Roland Schimmelpfennig – Ja und Nein/Sí y No – Vorlesungen über Dramatik/Conferencias sobre Dramática (07/2014)

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Es mag auf den ersten Blick verwundern, dass ein Band mit Poetikvorlesungen, die ein deutscher Dramatiker an einer deutschen Universität gehalten hat, in einer zweisprachigen Ausgabe erscheint. Die Bedeutung, die die zeitgenössische deutschsprachige Dramatik in den letzten zehn Jahren vor allem im spanischsprachigen Raum erlangt hat, ist vermutlich in Deutschland nicht bekannt und bedarf einer Erklärung.

Johannes Birgfeld weist in seinem Nachwort auf das Schattendasein hin, das dramatische Texte in Deutschland führen, wo zwar den Inszenierungen gebührender Platz in den Feuilletons eingeräumt wird, die Texte selbst jedoch wenig gedruckt und selten außerhalb ihrer Realisierung im Theater wahrgenommen werden. Das hat sicher mit einer Entwicklung im deutschsprachigen Theater zu tun, die den Text nur als ein Element unter mehreren begreift, die zum Gesamtkunstwerk Theater beitragen, als zwar wichtige Ausgangsbasis, aber vor allem als Material. Dieser Umgang mit Stücken stößt im Ausland häufig auf Befremden, gilt es doch sowohl in der angelsächsischen als auch in der spanischsprachigen Theatertradition vor allem, den adäquaten künstlerischen Ausdruck für die Intention des Textes und damit auch des Autors zu finden.

In vielen lateinamerikanischen Ländern gibt es bei den jungen Regisseuren einen regelrechten Hunger nach zeitgenössischen Theatertexten, die sich zum Teil auch aus einer jüngeren Geschichte erklären, in der die kulturelle Produktion auf Grund der politischen Verhältnisse über lange Jahre hinweg vom Austausch mit internationalen Entwicklungen abgeschnitten war, wie zum Beispiel in Chile während der Diktatur von 1973 bis 1990. Der Austausch mit internationalen Autoren und Regisseuren erleichtert den Weg aus der Marginalisierung, in die die Theaterszene während der Pinochet-Jahre verwiesen wurde.

Die Verbreitung von deutschsprachiger Dramatik in Lateinamerika wurde durch ein Programm des Goethe-Instituts gefördert, das jedem Goethe-Institut erlaubt, pro Jahr drei neue Stücke ins Spanische zu übersetzen. Festivals deutschsprachiger oder europäischer zeitgenössischer Dramatik in Argentinien, Chile, Kolumbien und Kuba trugen ebenfalls dazu bei, Autoren wie Dea Loher, René Pollesch, Anja Hilling, Philipp Löhle und eben Roland Schimmelpfennig – um nur einige zu nennen – einem breiteren Theaterpublikum bekannt zu machen. Die Adaptionen durch die lokalen Regisseure waren bisweilen so erfolgreich, dass sie zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen wurden wie z. B. die kubanische Inszenierung von Schimmelpfennigs Der goldene Drache in der Regie von Raúl Martín.

Roland Schimmelpfennig lebt selbst abwechselnd in Berlin und Havanna. Sein erstes Stück in Kuba war Die arabische Nacht. Das Stück wurde bei szenischen Lesungen im Herbst 2004 vorgestellt und 2006 in die erste Publikation deutscher zeitgenössischer Dramatik des kubanischen Theaterverlages Tablas-Alarcos aufgenommen. Mittlerweile sind mehrere Monografien deutscher Theaterautoren veröffentlicht worden, u. a. ein Band mit drei weiteren Stücken von Roland Schimmelpfennig. Im Vorwort hieß es: „Warum Schimmelpfennig hier und jetzt? (…) Weil er eine Mischung von Texturen provoziert, wo die Figuren eine augenscheinlich ölige und quecksilbrige Zeit bewohnen, die aber trotzdem erkennbar ist. Weil er Situationen schafft, die – obwohl unlogisch und maßlos – doch so menschlich sind.“

Es ist ein besonderes Verdienst des vorliegenden Bandes, nun auch Roland Schimmelpfennigs Vorlesungen der 2. Saarbrücker Poetikdozentur für Dramatik dem lateinamerikanischen Publikum zugänglich zu machen.

Judith Maiworm,
Verbindungsbüro des Goethe-Instituts, Havanna

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