3 Stimmklang als sprechkünstlerisches Phänomen
von Julia Kiesler
Erschienen in: Recherchen 149: Der performative Umgang mit dem Text – Ansätze sprechkünstlerischer Probenarbeit im zeitgenössischen Theater (09/2019)
Im sprechwissenschaftlichen Verständnis ist der Stimmklang ein Merkmal des Sprechausdrucks bzw. ein Merkmal des Gesprochenen. Die Stimmqualität ist stark individuell geprägt und gilt als Signal bzw. Teilsignal für den Ausdruck modaler und emotionaler Befindlichkeiten (= pathognomischer Ausdruck) und Persönlichkeitseigenschaften wie vermutetes Alter und psychophysischer Zustand (= physiognomischer Ausdruck) (vgl. Internetquelle 6, 2013, 16 sowie Hirschfeld/Neuber 2010, 12). Der physiologisch bedingte Stimmklang mit seiner individuell spezifischen Lautheit und Tonhöhe, einschließlich stimmlicher Variationen ist zugleich Merkmal des Stimmausdrucks. Es wird davon ausgegangen,
daß die Äußerung des Sprechers neben dem geplanten Sprechausdruck auch einen elementaren Stimmausdruck besitzt, der das angeborene „ältere Kommunikationssystem“ darstellt, sich insbesondere auf die angeborenen stimmlichen Ausdrucksformen für Basisemotionen wie Wut, Ekel, Angst, Lust, Zärtlichkeit u. a. bezieht und im Hörer im Sinne von Sympathie, Indifferenz oder Abneigung bewertet wird (Anders 2001, 27).
Der Stimmausdruck kann beim Sprechen auf der Bühne in der schauspielerischen Gestaltung planvoll im Sinne einer bestimmten Äußerungsabsicht modifiziert und variiert werden (vgl. ebd.). Synonym wird der Begriff „Timbre“ als Klangfarbe oder Stimmfarbe gebraucht.
Theaterwissenschaftliche Publikationen haben sich in den vergangenen Jahren intensiv mit der Stimme im postdramatischen Theater beschäftigt. Lehmann weist darauf hin, dass traditionell „der vokale Klang als Aura um einen Körper, dessen Wahrheit sein...