Über den Surrealismus
Eine Betrachtung zum modernen Drama
von Günther Sauer
Erschienen in: Theater der Zeit: Über den Surrealismus (01/1947)
Der Surrealismus ist dabei, die bisher gültigen dramatischen Gesetze der Bühne aufzulösen; das ist eine nicht zu leugnende Tatsache. Es bleibt die Frage, wem wir seine Entstehung oder besser gesagt sein Wiederauftauchen verdanken, was wir von ihm in Zukunft zu erwarten haben, und ob wir seine Entwicklung aufhalten können.
In unserem durch zwei mörderische Kriege aufgerissenen Jahrhundert befindet sich die Gesellschaft auf dem Wege zu neuen Lebensformen. Daß sich dieser Umwertung, diesem Tasten nach unentdeckten Gestaden das Theater nicht entziehen konnte, liegt auf der Hand. Und doch nimmt es, an anderen Künsten gemessen, eine Sonderstellung ein. Durch Schönberg, Hindemith, Alban Berg und Franҫais wurden schon vor Jahrzehnten die Tore zu einer neuen Musik aufgestoßen. Sie überwand das abstrakte Ideal und manifestierte sich bereits in einem formalen und klanglichen Klassizismus. Mit Klee, Picasso und Kandinsky revolutionierte die Malerei nicht nur ihre Methode, sondern auch die Inhalte und schuf zwar keine Schulen, aber geheime und wirksame neue Gesetze. Im expressionistischen Theater der zwanziger Jahre jedoch kam man mit wenigen Ausnahmen über mystische und formale Experimente nicht hinaus. Daß dazu entscheidende Gründe vorhanden sein mußten, unterliegt keinem Zweifel, und daß ihr wichtigster Grund in der Vergewaltigung der Bühne zum politischen Forum lag, scheint...