Magazin
Permanente Praxis
In Gedenken an den Schauspieler und Regisseur Martin Lüttge
von Norbert Kentrup
Erschienen in: Theater der Zeit: Dickicht der Städte – Shermin Langhoff über die Dialektik der Migration (04/2017)
Ich sah Martin zum ersten Mal bewusst 1975 in Claus Peymanns großartigem „Käthchen von Heilbronn“ in Stuttgart. Was für ein unglaublicher, jugendlicher Friedrich Wetter Graf vom Strahl. Was für ein Heldenspieler! Dann 1977 das Jahrhundertereignis „Faust“ in Stuttgart, ebenfalls von Peymann inszeniert mit Martin als Faust. Was für eine Leistung! In dieser Zeit begann Martin, über ein anderes Theater nachzudenken. Ein Theater mit Inhalten aus dem Geist und dem Aufbruch der 68er Zeit: Freies Theater. Kaum einer wollte mit ihm diese Schritte, für die er unermüdlich warb, gehen. Er ging einfach los, ging voraus.
Man war fassungslos, als er nach seinem umjubelten „Faust“ am Staatstheater Stuttgart auf dem Einödhof Priessenthal in Bayern ein Zelttheater ohne Subventionen aufbaute. Dass das Zelt nicht nur als Zirkuszelt, sondern als Spielort, als Theaterort wiederentdeckt wurde, ist u. a. Martins Verdienst, zusammen mit den Mitgliedern vom Theaterhof Priessenthal. Der Grund für dieses Zelttheater war der politische und ökologische Aufbruch in unserem Land. Die Zeltplane ist wie eine Membran, man hört, was draußen vor sich geht. Es ist wie ein Ohr. Man hört noch, welche Probleme die Menschen haben, für die wir spielen.
Freiheit nicht nur sagen, sondern Freiheit selbst leben, den Theaterhof aufbauen, ihn künstlerisch...