Kulturelle Realitäten des Körpers versus Realismus im Theater
von Julius Heinicke
Erschienen in: Recherchen 148: Sorge um das Offene – Verhandlungen von Vielfalt im und mit Theater (05/2019)
Im Zuge der zunehmenden postkolonialen Befragungen von Theaterschaffenden gibt es jedoch insbesondere im afrikanischen Kontext vielerlei Ansätze, den Universalitätsanspruch westlicher Kategorien aufzubrechen und die Unabhängigkeit und Unterschiedlichkeit afrikanischer Performanceformen von europäischen zu verdeutlichen. Samuel Ravengai bedauert in „The dilemma of the African body as a site of performance in the context of Western training“,202 dass beispielsweise das Schauspieltraining im südlichen Afrika sich allein auf europäische Konzepte bezieht, welche die Erfahrungskontexte und Verständnisse von Realität vieler Studierender, die jenseits der Hauptstadt Harare in ländlichen Gebieten aufgewachsen sind, nicht berücksichtigt:
My hypothesis is that the psycho-technique is a culture-specific system that arose to deal with the heavy realism of Ibsen, Chekhov, Strindberg, Odets and others. I believe that there is a Western realism, which can be differentiated from an African realism. […] Consequently the psycho-technique tends to favour a Western-groomed body and seems to disorientate any other differently embodied body.203
Ravengai geht von der Annahme aus, dass Realismus, wie ihn westlicheuropäisches Schauspiel versteht, oft wenig mit dem ländlichen sozialen-gesellschaftlichen Alltag Afrikas und dessen performativen Repräsentanz zu tun hat. Während in Zimbabwe Schauspielstudent*innen, die in den Metropolen wie Harare aufgewachsen sind, ganz selbstverständlich von westlich codierten Vorstellungen von Körper und Realität...