Theater der Zeit

Alles hat seinen Preis

von Carola Heinrich, Miriam Denger und Franziska Muche

Erschienen in: Dialog 30: Theaterstücke aus Kuba (03/2019)

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Sechs Stimmen aus Kubas Gegenwart, eine Dramatikerin und fünf Dramatiker, werden in Theaterstücke aus Kuba hörbar. Sie erzählen von Menschen, die ein besseres Leben erträumen und einfordern – und oft daran zerbrechen. Dabei ist es nicht viel, was sie wollen: sozialen Aufstieg, ein bisschen Wohlstand, Teilhabe an der Macht und der Gestaltung ihrer Gesellschaft. Darum kämpfen sie, sei es in endlos langen Warteschlangen, der Luxusblase einer Hotelsuite, bei der Verteilung von Land und Erbe, auf den Schlachtfeldern der Chefetagen und in der Politik. Doch ihre Sehnsucht nach Verbesserung führt in menschliche Tragödien und hat am Ende einen hohen Preis.

In Yerandy Fleites Pérez’ shakespeareschem Maskenreigen Passion King Lear ringen die Figuren rücksichtslos um Macht und Besitz, spinnen Intrigen, führen Kriege, täuschen Liebe vor. King Lears Entscheidungen stürzen das Land ins Chaos und setzen metaphysische Ängste frei, die auch eine mit Blut teuer bezahlte Wiederherstellung der alten Ordnung nicht mehr beruhigen kann. Fleites nutzt Shakespeares Stück, um die gesellschaftliche Realität Kubas und die politische Dimension eines Generationenkonflikts auszuleuchten. Wie ist Macht legitimiert, wo stößt sie an ihre Grenzen? Wie kann man sie loslassen, wenn man sich das ganze Leben an sie geklammert hat? Am Ende steht eine Welt, die sich keiner Illusion mehr hingibt und in der selbst Trauer nur noch ein Foto ist, um dessen Authentizität die Nachwelt streitet. Das Stück wurde 2017 in der Regie von Julio César Ramirez von Teatro D’Dos inszeniert.

Zehn Millionen von Carlos Celdrán thematisiert die Wechselwirkungen zwischen Politischem und Privatem. Der Leiter des Argos Teatro in Havanna hat das autobiographische Stück mit seiner Theaterkompanie 2016 selbst inszeniert. Er feierte damit auch international große Erfolge, erhielt 2016 den Nationalpreis für Theater der kubanischen Schriftsteller- und Künstlervereinigung (UNEAC) sowie 2017 den Kritikerpreis für die beste Inszenierung. Dem Text liegen Tagebuchaufzeichnungen zugrunde, aus denen er ein Stück über eine Kindheit im Spannungsfeld zweier starker Elterncharaktere entwickelte. Die ehrgeizige, regimetreue Mutter zwingt den nachdenklichen Sohn in eine Therapie zur Umerziehung. Darüber befindet sie sich in einer kompromisslosen Auseinandersetzung mit dem zärtlichen, bürgerlichen Vater, der 1980 die peruanische Botschaft besetzt und schließlich, als politischer Dissident verschmäht, in die USA ausreisen darf. Vor dem historischen Hintergrund der titelgebenden Zehn-Millionen-Tonnen-Zuckerernte 1970, den Umerziehungsmaßnahmen und Massenauswanderungen erweitert Celdrán die berührende Erzählung über seine Familie zum Porträt einer ganzen Generation.

Mehr, Macbeth! Ein dokumentarisches Fest von Agnieska Hernández Díaz greift ebenfalls einen klassischen Shakespeare-Text auf. Die Autorin konzentriert sich auf die Figuren Macbeth (bei ihr „Miguel“) und Lady Macbeth („Lady“). Um dieses Paar herum baut die Autorin den Rahmen einer fiktionalisierten Dokumentation, basierend auf im Vorfeld entstandenen Interviews mit Liebespaaren. Damit wird der Entstehungsprozess des Stücks selbst zu seinem Gegenstand. Lady kämpft mithilfe von Karriere- und Selbsthilferatgebern um die Beförderung ihres Gatten. Mit Erfolg: Miguel wird Geschäftsführer eines Unternehmens. Doch Selbstachtung, Familie und geistige Gesundheit sind verloren. Mit Mehr, Macbeth! entlarvt Hernández den skrupellosen Machtkampf und politischen Opportunismus der herrschenden Klasse des heutigen Kuba – und die allzumenschliche Gier. Der Text wurde 2015 beim Wettbewerb „Virgilio Piñera“ mit einer besonderen Erwähnung bedacht und in Kuba auch mit drei weiteren Dramen in dem Band Documental de amenazas. Posibles dramaturgias (2016) veröffentlicht, der den Literaturkritikerpreis gewann. Das Stück wurde 2015 von Regisseur Julio César Ramírez mit dem Teatro D’Dos uraufgeführt.

In Eldorado von Reinaldo Montero probt eine Theatergruppe, als Stück im Stück, eine Bearbeitung des Mythos Eldorado, die vom Zusammenstoß zwischen Kolonialisten und Ureinwohnern erzählt. Montero zieht Parallelen zwischen der Ankunft der Spanier und der jüngsten Wiederannäherung Kubas an die USA: Die Geschichte wiederholt sich. Die internationalen Wirtschaftsdelegierten erfüllen die Rolle neuer Konquistadoren, die mit ihren Versprechungen Hoffnungen und Illusionen auslösen. Monteros Text ist poetisch, humorvoll und bildhaft. Manche dieser Bilder erinnern an die DDR: lange Schlangen, in die man sich einzuordnen hat oder fruchtlose Dialoge mit Obrigkeiten, wenn es um die Ausstellung einer Genehmigung geht. Die Darstellerinnen und Darsteller springen ständig zwischen ihren Rollen als Schauspielende und Figuren hin und her und werden dabei auch mit ihren eigenen Konflikten, Wünschen und Ängsten konfrontiert. Eldorado wurde von der Compañía del Cuartel in der Regie von Sahily Moreda im Jahr 2015 uraufgeführt.

Ein Jacuzzi ist in Yunior Garcías Stück nicht nur Titel, sondern zugleich Spielort: In der wohlig-beklemmenden Wärme einer zum Jacuzzi geadelten Badewanne treffen sich drei Freunde nach langer Zeit, um über ihr Leben zu sprechen. Doch schnell brechen alte Wunden auf und es entsteht Streit. Liebe und Sexualität, Überzeugungen, Unsicherheiten und die Rolle des Intellektuellen in einer restriktiven Gesellschaft – all das kommt in einem intimen Spiel der Gegensätze zur Sprache. Offen bleibt am Schluss, ob die Freundschaft der drei noch eine Zukunft hat. Die Autofiktion ist eine sehr persönliche Auseinandersetzung des Autors mit der eigenen Biografie. 2016, bei der Uraufführung mit seinem Ensemble Trébol Teatro, vereinte er auch Regisseur, Hauptdarsteller und Autor in einer Person. García wurde dafür 2017 mit dem Preis Villanueva der UNEAC sowie dem Preis Aire Frío der Vereinigung Hermanos Saíz ausgezeichnet. Für Jacuzzi gab es 2019 beim Wettbewerb „Virgilio Piñera“ außerdem eine besondere Erwähnung.

Mechanismen. Ein Spiel mit den Gesetzen der Bewegung von Abel González Melo ist Teil der Trilogie Verano Deluxe (Sommer Deluxe) und spielt in einem Luxushotel im Urlaubsparadies Varadero. Es bewegt sich damit im komfortablen Reich einer neuen kubanischen Oberschicht, das den meisten Kubanern verschlossen bleibt. Ausgehend von Ibsens Nora oder Ein Puppenheimbeschreibt Melo die einschließende Mechanik einer Ehe im goldenen Käfig. Die klassischen Geschlechterrollen werden umgekehrt und die Handlung ins zeitgenössische Kuba verlegt, die Fabel bleibt jedoch dieselbe. Newtons Grundgesetze der Bewegung strukturieren das Stück und setzen ein Räderwerk in Gang, das die Abgründe hinter dem augenscheinlichen Glanz der neuen bürgerlichen Schicht Kubas zu Tage treten lässt. Mechanismen gewann 2014 den nationalen Dramatikerpreis „José Antonio Ramos“ der UNEAC und wurde 2015 am Argos Teatro in Havanna in der Regie von Carlos Celdrán uraufgeführt. Die Inszenierung wurde mit dem Caricato-Preis der UNEAC und dem Villanueva-Preis ausgezeichnet. Der Text wurde 2016 im Verlag Ediciones Unión veröffentlicht und erhielt den Literaturkritikerpreis.

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