Theater der Zeit

The Fair Play

„Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ Bertolt Brecht

von Philipp Preuss

Erschienen in: THE FAIR PLAY (10/2017)

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Kunstmessen von Basel über Miami bis Hongkong zeugen von der durchgehenden Neoliberalisierung von Kunst. Die Kunstmesse als performativer Ort und als Kunstdispositiv hat längst Museen und Kunstvereine als Diskursbeschleuniger abgelöst. Ökonomischer Mehrwert ist die neue Aura, Kunstgeschichte wird privatisiert und das Auktionsergebnis gilt als kunstgeschichtliche Einschreibung im Zeitalter des Pointillismus der Red Dots, des kapitalistischen Surrealismus und der aufmerksamkeitsökonomischen und unlimitierten Maximal Art.

In Ritualen des Previews und Pre-previews wird der White Cube, die auratische Rahmenbedingung für jedes Readymade, zu einer Koje kondensiert. Die profane Messearchitektur erhöht den Mehrwert. Der Preis ist der Rahmen, nichts muss mehr aufgesockelt oder auratisch beglaubigt werden1, das erledigt der Marktwert. Der Einlass in den ökomischen Kreislauf gewährt Diskursbeglaubigung und ist Grundierung wirklicher künstlerischer Akzeptanz. Keine kunstsystemkritische Kunst, die nicht Teil des Kunstsystems sein will, keine kapitalismuskritische Kunst, die nicht Höchstpreise erzielen will. Die Messe ist eine rituelle Inszenierung mit vorgegebenen Kommunikationsformen und Zeitelementen,2 ein Theaterstück für Kunden des Olymps, eine Choreografie des Hin- und Vorbei- und Weiterblickens, eine Darbietung des Angebots, die entspannt auf Nachfrage wartet, eine Blickcollection. Die Arbeiten und Galerien werden im Fluss der permanenten Kunsternte zuvor gesiebt, gefunden werden Artnuggets so groß und leuchtend wie die Zukunft. Keine Sammlung ohne Jurierung, keine Collection ohne Selection, das ist die Ordnung des Diskurses3 im Quadratmeterpreisformat. Permanente Requisiten sind Tisch und Blumenstrauß, Katalog, Preisliste, Laptop, Handy, und Visitenkarte, die Dernière schmückt eine Champagnerflasche und der rote Verkaufspunkt ist die gelungene Schlusspointe eines geglückten und lachenden Tages.

Erst Artfair-Art macht den feinen Unterschied innerhalb der feinen Unterschiede4. Kunst als Mehrwert des Kapitals, Kunst als Veredelung des Geldadels, Kunst als Alibi und Ablasshandel für Wirtschaftskriminelle, Kunst als Kritik, Kunst als Olympiade5, Kunst als Liebespfand für Verliebte, als Rauschmittel für Verlebte, Kunst als Kompass, Kunst als Geschmacksbeweis, Kunst als Sparbuch, Kunst als Beute: Ein weites soziales Feld. Künstler sind die besseren Menschen, Kunstkäufer die besten Menschen. Die Kunstmesse macht uns zu Profimenschen, wir erzeugen Geschmack, indem wir von Geschmack zeugen, der Glaube macht aus Requisiten echte Waffen, er macht aus Wasser Blut oder Wein, das ist die Transsubstantation, die in der unendlichen Größe seiner Imaginationskraft keine höchsten pekuniären Wertemehr kennt und diese so inflationär steigern kann. Die Nachfrage ist eine Glaubensfrage und wir sind Gläubige. So sehen wir uns wie Maden im selbst verschuldeten Spektakel.6 Käufer wie Verkäufer und die restlichen Zaungäste des finanziellen und kreativen Luxus, der unser Sterben bereichert. Die Kojen sind die Maschinenräume des Traumschiffs Kunst. Mit ihr stechen wir in die weite Welt, machen Schnellschüsse der schönen und reichen Lebensdurstigen oder Schnappschüsse der armen und hässlichen Ertrinkenden. Abstrakt, realistisch, poststrukturell, minimal, feministisch, reduziert, postdigital, konsequent, politisch, radikal, unkritisch, kritisch. Es ist einerlei. Draußen tobt die See, aber nur im Maschinenraum haben wir die Illusion, die Fahrtrichtung zu kennen. Das kostet vielleicht die Welt, aber das ist nicht schlimm, die kostet nicht die Welt.

Der Theaterregisseur und bildender Künstler Philipp Preuss untersucht in THE FAIR PLAY nun die Kunstmesse als soziale Skulptur und profanisiertes Hochamt, den Kunstevent als immersiven Flohmarkt-de-luxe und die Messe als zeitgenössische und radikale Form des inszenierten Readymade-Spektakels: Gezeigt werden Arbeiten aus den Bereichen Performance Art, Malerei, Fotografie, Installation, Skulptur, Postinternet Art, Appropriation Art, Video Art und zeitgenössische Zeichnung. Die präsentierten Galerien kommen aus Berlin, New York, Lissabon, Rom, Mailand, Los Angeles, Wien, Paris und Amsterdam.

Philipp Preuss: „Die Koje ist Bühne. Künstler sind Figuren, Gallerinas der Chor, die Galerie ist Rahmenbedingung für Bilder von Erfolg, Bedeutung, Resonanz. Systemkritisch und somit systemrelevant! Buy this!“7

Nach Ausstellungen in Bregenz, Wien, Mailand, Berlin zeigt der Leipziger Hausregisseur Philipp Preuss nun in Leipzig THE FAIR PLAY. Wir freuen uns, folgende international renommierte Galerien in Leipzig begrüßen zu dürfen:

Boressoa (Lissabon, Buenos Aires)
Petrolio Inc. (Rom, Mailand)
The Timon Gallery (London)
LAVAR (Paris)
Cigmountain & Farmer (New York, Los Angeles)
Galerie Winzinger (Berlin, Wien)
Ribben und Weentjes (Berlin, Amsterdam)

Die Jury

1 Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, 1935
2 Victor W. Turner: Vom Ritual zum Theater, 1982
3 Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses, 1970
4 Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede, 1979
5 Franz Schultheis, Erwin Single, Stephan Egger, Thomas Mazzurana: Kunst und Kapital-Begegnungen auf der Art Basel, 2015
6 Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels, 1967
7 Philipp Preuss, The Fair Play, 2016

 

 

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