Theater der Zeit

Und die Liebe höret nimmer auf

Bruchstücke aus dem Leben der Prostituierten Annemarie Slovik, 67

von Raimund Hoghe

Erschienen in: Recherchen 150: Wenn keiner singt, ist es still – Porträts, Rezensionen und andere Texte (1979 - 2019) (09/2019)

Assoziationen: Akteure

„Und da bin ich so lang gegangen und da kam einer und fragte: ‚Was machst du hier?‘ Da hab’ ich gesagt: ‚Anschaffen.‘ Und das blieb dann das Leben. Ich hab’ verdient, was ich wollte. Wenn man jung ist, braucht man nicht schön zu sein. Ich hab’ verdient und verdient – und dann bleibt man dabei. So, jetzt nehme ich mir noch zwei Tabletten.“ Wenig später liegen fünf Pillen in ihrer Hand: in einem Rosa, das noch leuchtender ist als das Hellblau ihrer Bluse. Als ich ihr ein Glas Wasser holen will, lehnt sie ab: „Die gehen auch mit Bier runter.“ Die Tabletten, erklärt sie mir, seien eigentlich gegen Schmerzen, die einen nachts nicht schlafen lassen, aber sie werde von ihnen wach.

„Ja, wie könnte ich ohne Tabletten das überhaupt aushalten? Ich muss mich aufputschen, damit ich diese Menschen als Menschen anerkennen kann und – sonst würde ich denken, es wären Tiere“, sagte sie in Cornelia Schlingmanns Dokumentarfilm Was denken Sie von mir?, in dem ich sie neben vier anderen Prostituierten zum ersten Mal sah: Annemarie Slovik, 67, seit mehr als fünfzig Jahren auf dem Straßenstrich. „Ich habe Liebe gesucht, vielleicht, und aus Liebe ist Strich geworden. Aber ich wusste...

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