Auf dem Weg zur realistischen Kunst
von Georg Lukács
Erschienen in: Georg Lukács – Texte zum Theater (06/2021)
Die künstlerische Schöpfung gehört als eine Art der Widerspiegelung der Außenwelt im menschlichen Bewusstsein der allgemeinen Erkenntnistheorie des dialektischen Materialismus an. Allerdings ist sie, infolge der Eigentümlichkeit der künstlerischen Schöpfung, ein eigentümlicher besonderer Teil, in welchem oft von den anderen Gebieten scharf unterschiedene Gesetzmäßigkeiten zur Geltung kommen.
Wenn wir nun einige der wichtigsten Momente dieser Lage zu klären wünschen, dann taucht sofort die Frage auf: Was ist jene Wirklichkeit, deren treues Spiegelbild die literarische Gestaltung sein muss? Hier ist vor allem die negative Seite der Antwort wichtig: Diese Wirklichkeit besteht nicht bloß aus der unmittelbar empfundenen Oberfläche der Außenwelt, nicht bloß aus den zufälligen, momentanen eventualen Erscheinungen. Gleichzeitig damit, dass die marxistische Ästhetik den Realismus in den Mittelpunkt der Kunsttheorie stellt, bekämpft sie aufs schärfste jedweden Naturalismus, jede Richtung, die sich mit der photographischen Wiedergabe der unmittelbar wahrnehmbaren Oberfläche der Außenwelt begnügt. In dieser Frage sagt die marxistische Ästhetik wiederum nichts radikal Neues aus, sondern hebt lediglich all das, was seit jeher im Mittelpunkt der Theorie und der Praxis der alten großen Künstler stand, auf die höchste Stufe der Bewusstheit und vollkommenen Klarheit.
Die Ästhetik des Marxismus bekämpft aber gleichzeitig ebenso scharf ein anderes falsches Extrem der Entwicklung,...