Thema
„Achtung: Exoten! Opfer! Helden!“
Der Geflüchtete als Theaterfigur
von Pedro Kadivar
Erschienen in: Theater der Zeit: Der Knick im Kopf – Theater und Migration (12/2017)
Nicht ratlos stehen lass’ ich euch,
Ihr Lieben! aber fürchtet nichts! Es scheun
Die Erdenkinder meist das Neu’ und Fremde,
Daheim in sich zu bleiben, strebet nur
Der Pflanze Leben und das frohe Tier.
Hölderlin, Der Tod des Empedokles, Erste Fassung, 2. Akt, 4. Auftritt
Die Figur des Fremden ist dem Theater nicht fremd. Sei sie im Widerspruch mit üblichen Lebensformen oder mit Gesetzen, sei sie unangepasst, rebellisch, revolutionär oder schlicht anders als die anderen, also mehr oder weniger fremd zu ihrer unmittelbaren Umgebung. Sie führt meistens zum Konflikt, nährt und strukturiert eine entwicklungsfähige Dramaturgie. Vom antiken bis zum zeitgenössischen Theater spannt sich innerhalb der europäischen Kultur ein weiter und reichhaltiger Bogen, in dem solche Figuren auftauchen, darunter manche Migranten oder Geflüchtete. Man könnte auch vorsichtig und in einer gewiss vereinfachten Verallgemeinerung behaupten, dass eine solche Figur den Kern jeder Dramaturgie bildet: Ohne sie gäbe es keine Spannung, keine Reibung und so eigentlich keine Dramaturgie. Das Theater sollte durch sie im besten Fall eine Konfrontation des Zuschauers mit sich selbst auslösen, indem es eine Auseinandersetzung mit der Andersartigkeit anregt: Wo bin ich gleich und wo bin ich anders in Bezug auf meinen Lebenskontext und im Vergleich zu...