Theater der Zeit

Auftritt

Braunschweig: Wofür kämpfen?

Staatstheater Braunschweig: „Überzeugungstäter“ (UA) von Auftrag : Lorey. Projektleitung Auftrag : Lorey. Bühne Marvin Ott, Carla Maria Ringleb, Kostüme Carlotta Oetter

von Theresa Schütz

Erschienen in: Theater der Zeit: Schauspiel Leipzig – Martin Linzer Theaterpreis 2017 (06/2017)

Assoziationen: Staatstheater Braunschweig

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Das Thema Zukunft boomt. Die Zeit der rhetorischen Beschwörung vermeintlicher Alternativlosigkeit(en) scheint beendet. Und wo wäre das Imaginieren, Entwerfen und Verhandeln neuer postkapitalistischer Systeme des Wirtschaftens und Zusammenlebens besser aufgehoben als im Bereich der Künste?

Unter dem Titel „Abweichen! Das Irreguläre als Haltung für Kunst und Pädagogik“ fanden sich am 12. und 13. Mai circa sechzig geladene Gäste aus Theaterpraxis, -wissenschaft und -pädagogik sowie Schauspiel und Kunstvermittlung zusammen, um „neue Wege sozialen Handelns zu generieren und zu diskutieren“. Die Tagung ist Teil einer vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur geförderten Kooperation des Instituts für Performative Künste und Bildung an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und des Studiengangs Schauspiel der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Den Ideengeberinnen und Leiterinnen der Konferenz, Dorothea Hilliger und Regina Guhl, ist es hervorragend gelungen, dafür zu sensibilisieren, wie elementar es – nicht nur für Künstler und Künstlerinnern von morgen – ist, aus den eigenen sozialen, oft sehr homogenen und privilegierten Blasen herauszutreten und eine (im positiven Sinne!) konfrontative Haltung zur Welt zu entwickeln. Dafür standen Persönlichkeiten wie der Filmemacher Thomas Heise oder die beiden Sozialpädagogen Tugba Tanyılmaz und Sven Woytek Pate. Dass alternative, von geltenden Normen und Denkmustern abweichende Ideen künstlerisch vermittelt werden können, stellten unter anderem Daniel Häni anhand seiner Plakatkampagne für ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Schweiz oder Uwe Lübbermann am Beispiel seines Mitbestimmungsunternehmens „Premium-Getränkekollektiv“ vor.

Das künstlerische Herzstück und der erste konkrete Output der Kooperation ist die Inszenierung „Überzeugungstäter“ am Staatstheater Braunschweig. Angeleitet vom Regie-Duo Auftrag : Lorey stehen hier je drei Studierende aus dem Bereich Schauspiel und dem Fach Darstellendes Spiel gemeinsam auf der Bühne. Die Stückentwicklung ist eine Aneinanderreihung verschiedenster Szenarien, welche uns die sechs grau-schwarz gekleideten Mimen stark formalisiert als aufeinander abgestimmter, zum Teil auch chorisch agierender Kollektivkörper präsentieren. Nach einigen eher trivialen Traum-Miniaturen und Tableaux vivants wird mit dem Tocotronic-Klassiker „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ das erste Mal ein gemeinsamer Wunsch ausgesprochen – allein die Umsetzung scheitert. Keine Lust auf Übungsraum, lieber in die Selbsthilfegruppe! Es folgen Szenarien über „das, was passiert, wenn ich sterbe“. Sie offenbaren die Wunschvorstellung, nach dem Tod etwas Bleibendes zu hinterlassen.

Erst zum Ende hin kommen dann doch noch jene Fragen auf, deren Bearbeitung man hier erwartet: „Was ist unsere Überzeugung? Wofür stehen wir ein? Woran glauben wir? Wofür wären wir bereit zu kämpfen?“ Und: „Was soll eigentlich aufs Transparent?“ Die Aussage „Wir wollen das kapitalistische System stürzen“ bildet den einzigen Nenner geteilter Überzeugung und entlarvt ihren Aktivismus als Aktionismus. Das Finale bildet ein Manifest: „Wir sind die Generation What, Y und Z. Wir werden eure Erwartungen nicht erfüllen.“ Formal werden hier YouTube-Werbeclips der Identitären Bewegung zitiert, für die eine extreme WIR-versus-IHR-Rhetorik kennzeichnend ist; inhaltlich fügen die Performer eigene Positionen ein, bei denen es sich im Wesentlichen um Klagen über den Ist-Zustand handelt und um Vorwürfe an die Elterngeneration, welche ihnen eine Welt hinterlasse, die sie nicht haben wollen. Sie gebärden sich als weltoffen, divers, queer und politisch korrekt. Ihre Strategie des Abweichens ist ein zur Pose geronnener Anti-Gestus Privilegierter, ohne konkrete Ideen zur Verbesserung. Hilfreicher wäre gewesen, die Regie hätte die Überforderung der Jungen ans Ende gestellt. Denn so bleibt das Bild einer Generation 20 plus zurück, die zwar Energie hat, aber keinerlei Ideen, diese gestaltend für eine gemeinsame Zukunft zu nutzen. //

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