Theater der Zeit

Look Out

Der Formenfinder

Der Berliner Regisseur Anton Kurt Krause liebt das Spiel mit Medien und Räumen

von Natalie Fingerhut

Erschienen in: Theater der Zeit: Subversive Affirmation – Performances von Julian Hetzel (01/2020)

Assoziationen: Theater Magdeburg

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Zwei Schauspieler, eine abgeklebte Spielfläche, ein Klavier und ein Haufen Reisetaschen – mehr brauchte ­Anton Kurt Krause 2015 nicht für „Ich rufe meine Brüder“. Das Kammerspiel einer Realitätsverschiebung von Jonas Hassen Khemiri stand vier Jahre auf dem Spielplan des Hamburger Thalia Theaters in der Gaußstraße. Krause zeichnete die Paranoia eines jungen Mannes mit Migrationshin­tergrund nach einem Autobomben-­Anschlag so präzise, dass Medien und Publikum gleichermaßen euphorisiert auf den Abend schauten. Das mag der Brisanz des Themas geschuldet sein, vor allem aber der unbeirrbaren Konsequenz, mit der Krause die Innensicht der ­Figur auf der Bühne lebendig werden ließ.

2019 im Medizinhistorischen Museum des Universitätsklinikums Eppendorf in Hamburg: „Eine dokufiktionale Inszenierung“ nennen Krause und Cora Sachs den Abend „Wahnsinn aus Heimweh“. Die Basis dafür lieferten dem Regie-Duo Krankenakten einstiger „Rückwanderer“ in der ehemaligen Hamburger Anstalt Friedrichsberg. 446 Akten liegen heute im Archiv des Museums, Krause und sein Team wählten fünf Patienten aus und ergänzten die Konfigura­tion um den ehemaligen Anstaltsleiter.

Die Biografien erzählen davon, wie vielen Auswanderern nach dem strikten Immigration Act von 1907 die Einreise nach Amerika verwehrt wurde – oft mit der Begründung, sie seien ­insane, also verrückt. Krause und Sachs widerstehen jeglichem Aktualitätsbezug und platzieren ihre Studie im thematisch passenden Umfeld des Sektionssaals im Museum. „Site-specific zu arbeiten, andere Räume zu entern, ist eine Herausforderung, die ich sehr mag“, so Krause. „Ich liebe es, Probleme zu lösen. Und wenn man sich mit Schauspielern außerhalb des Theaters bewegt, hat man ganz automatisch viele Probleme.“ In Dresden läuft seit 2016 seine Inszenierung von Thomas Bernhards ­Roman „Alte Meister“ passgenau in der Gemäldegalerie Alte Meister – wo wegen der wertvollen Exponate nicht mal die Heizung hoch­gedreht werden darf.

Für „Wahnsinn aus Heimweh“ hat Figurenbildnerin Cora Sachs eindrück­liche Puppenköpfe gefertigt, durch die das Spiel eine ganz spezielle Körperlichkeit bekommt. „Für die Schauspieler ist es eine Herausforderung, aber die Distanz, die durch die Puppen entsteht, ist essenziell für den Abend“, erklärt Anton Krause. „Trotz der Kauzigkeit, die sie transportieren, verzeiht man dadurch den Voyeurismus, der automatisch aufkommt, wenn man sich mit den Lebensgeschichten beschäftigt.“ Eine kluge Entscheidung, denn die Schauspieler sprechen tatsächlich Protokolltexte aus den Krankenakten, die gleichzeitig auf Vorhänge im Sektionssaal projiziert werden. Gebrochen und ergänzt werden diese durch feine spielerische Studien der Figuren, historisches Material und Lieder. All das ergibt einen beklemmenden Abend, der durch die spielerische Abstraktion in den historischen Räumen fast schon etwas Überzeitliches bekommt.

„Ich versuche, für die jeweiligen Inhalte eine gute Form zu finden. Es reicht mir nicht, nur eine Handschrift zu haben und mich dafür der Inhalte zu bedienen“, sagt Krause. Am Theater Magdeburg hat er mit „Democrisis. (K)ein Ausweg“ ein Live-Theater-Game inszeniert, in dem Jugendliche durch ihre Entscheidungen und Handlungen Politik erproben. Für eine Installation beim VRHAM!-Festival nutzte er Elemente aus Augmented Reality, Virtuality und Audio. Raum zum Ausprobieren und zur „Erweiterung seines Werkzeugkoffers“ findet er in seinem derzeitigen Masterstudiengang „Spiel und Objekt“ an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin. „Der Einsatz eines Mediums an sich erzählt ja schon etwas Eigenes. Ich stelle mir immer wieder die Frage: Wo wird der Einsatz von technischen Mitteln zwingend?“ Und so gibt es eben manchmal kaum Technik. Dafür Puppen. Oder einfach Schauspieler und ein Klavier. Danke dafür, Anton. //

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