Lehrlingstheater
von Katharina Kolar
Erschienen in: Lektionen 5: Theaterpädagogik (10/2012)
Im Zuge von Theaterarbeit mit, von und für Lehrlinge ist es notwendig und sinnvoll, zwischen dem Begriff und seinen Phänomenen zu unterscheiden.1 Der eigenständige Begriff „Lehrlingstheater“ dürfte sich in der BRD Anfang der 1970er Jahre etabliert haben. Der „Lehrling“ aber taucht sowohl als Mitwirkender / Spieler, Teil des Publikums, inhaltlich und thematisch sowie als Figur im proletarischen und politischen Berufstheater und dem Deutschen Arbeitertheater bereits vor 1970 auf.2
Eine Vielzahl der Erscheinungsformen von „Lehrlingstheater“ in den 1970er Jahren in der BRD knüpft stark an die kulturhistorische Situation Ende der 1960er Jahre an (Stichwort 68er-Bewegung und die damit verbundene Jugendbewegung), genauer gesagt an die damals in der Öffentlichkeit stehende „Lehrlingsdebatte“. Ihren Ausgangspunkt bildete die massive Kritik der Lehrlinge an der Ausbildungssituation, aus der die Forderung nach einer adäquaten, zeitgemäßen Berufsausbildung – sowohl innerbetrieblich als auch in der Berufsschule – resultierte. Ein einheitliches Berufsbildungsgesetz, das 1969 in Kraft trat, sollte diese regeln und die bis dahin geltende, aber vollkommen veraltete Gewerbeordnung, nach welcher „der Lehrling […] der väterlichen Zucht seines Lehrherrn unterworfen“3 war, ersetzen. Neben den üblichen Aktionsformen (Demonstrationen, Flugblattaktionen etc.) übernahmen die Lehrlinge teilweise von der Studentenbewegung äußerst kreative und phantasievolle Formen, um auf ihre Situation aufmerksam zu...