4.1. Die Faltung im Sichtbaren I: Zur Anamorphose
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Das Reale der Perspektive – Der Barock, die Lacan’sche Psychoanalyse und das ‚Untote‘ in der Kultur (07/2013)
Die beiden Dreiecke, ihr Zusammenspiel sowie die beiden sich daraus ergenden Subjektpositionen sind nun ausführlich beschrieben. Was aber noch aussteht, ist die Darstellung der Falte selbst, an der geometrales und visuelles Dreieck wie an einer Gelenkstelle getrennt sind und zugleich aneinanderhängen und ineinanderübergehen. Bislang ist lediglich ausgeführt worden, inwiefern der Blick als Objekt a eine Art Grenzfall zwischen den beiden Modi darstellt, mit dem sich das ganze Feld ereignishaft umfaltet. Wichtig war dabei die Doppelfunktion des Blicks – einerseits bedingt er die geheimnisvolle Attraktivität des Begehrten (der fetischisierte Rest, der in der symbolischen Ordnung nicht aufgeht), und andererseits spielt er die Rolle des Analytikers. Kein Wunder also, dass auch die Manifestationen des Blicks wieder auf zwei Phänomene führen, die gewissermaßen die zwei Pole der Falte zwischen den Dreiecken darstellen: Anamorphose und Spiegel. Was ist ihre genaue Struktur?
Am Schluss jener Sitzung aus Seminar XI, die das geometrale Dreieck einführt und den Ausführungen zum Visuellen vorangeht, kommt Lacan am Beispiel des gespenstischen, schwebenden Flecks auf Holbeins »Ambassadors« ausführlicher auf die Bildtechnik der Anamorphose zu sprechen, deren Funktion er als »Umkehrung der Perspektive« (BOa 93) bezeichnet. Tatsächlich bedeutet »Anamorphosis« etymologisch nicht nur »Verzerrung«, sondern auch »Umkrempelung« und bezeichnete im christlichen Kontext ursprünglich...