Theater und Vielfalt in der Rainbow Nation
von Julius Heinicke
Erschienen in: Recherchen 148: Sorge um das Offene – Verhandlungen von Vielfalt im und mit Theater (05/2019)
Auf den ersten Blick schaut Theaterschaffen in beiden Ländern auf ganz unterschiedliche Traditionen und Bedeutungsgefüge zurück. Die präkolonialen Gesellschaften Südafrikas nutzten ein weitaus größeres Spektrum an performativen Traditionen als ihre europäischen Besatzer. Erstaunlicherweise oder vielleicht, um diesen im gegenseitigen Vergleich „begrenzt“ erscheinenden Theaterkanon der Eroberer zu kaschieren, wurde es von den Europäern als Mittel zur Kolonisation eingesetzt. Während afrikanische Performance-Traditionen aus den Gesellschaften verbannt wurden, erhielt jedes Städtchen ein Theater europäischer Provenienz, welches der weißen Minderheit vorbehalten war. Obwohl einige Häuser, wie das Market Theatre in Johannesburg, zu den Keimzellen der Antiapartheidbewegung zählen, gestaltete sich in der befreiten Republik nach 1994 Theaterarbeit im europäisch-klassischen Design zunächst äußerst ambivalent. Nur Schritt für Schritt avancierte es im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends mit bedeutenden Regisseuren wie Paul Mpumelelo Grootboom zu einem einflussreichen Ort gesellschaftlicher Verhandlung der Postapartheidgegenwart, das breite Publikumsgruppen erreichte.
Heutzutage, ein Vierteljahrhundert nach Gründung der sogenannten Regenbogennation, hat der Frust über die junge Republik, nichts an den gesellschaftlichen Ungleichgewichten ändern zu können, auch das Theater erreicht. Auf der Tagung „Theatre in Transformation“ diskutierten im März 2016 einflussreiche Vertreter des südafrikanischen Sprechtheaters die aussichtslose Lage:
Gleich zu Beginn der Tagung wurde die Hoffnung auf die Wirkungsmacht von Theater für gesellschaftlichen Wandel jedoch...