Diskurs
Gegen Willkür hilft kein rationales Argumentieren
Beim Festival Nebenan/Zblízka zeigt sich: der Widerstand gegen die Politik der slowakischen Regierung um Premier Robert Fico lässt die Kunstszene zusammenwachsen. In Panels und Gesprächsformaten erzählen die eingeladenen Künstler:innen, wie Bündnisbildung funktioniert.
Assoziationen: Sachsen Dossier: Labor Kulturjournalismus Hellerau – Europäisches Zentrum der Künste
![Solidarität und Vergemeinschaftung: In Peter Šavel Tanzstück „Altalicious“ kommen verschiedene Künstler:innen aus der Slowakei zusammen.](/_next/image?url=%2Fapi%2Ffiles%2F1b1861ad-46e5-4022-8038-72db25e11cdc%2FLABORKULTURJOURNALISMUS%20LABORKULTURJOURNALISMUS%20(1600%20x%201080%20px).png&w=3840&q=75)
Seit Martina Šimkovičová Ende 2023 ihr Amt als Kulturministerin antrat, wird radikal alles gekürzt, was nicht in ihr rechtes Weltbild passt. Binnen kürzester Zeit wurden die Direktor:innen der Nationalgalerie und des Nationaltheaters entlassen, ebenso die Leiterinnen der Nationalbibliothek und des Kindermuseums Bibiana. Dem Slowakische Kunstrat, eine ehemals unabhängige Einrichtung zur Förderung von Kunst und Kultur, wurde seine Autonomie entzogen. Die Berufung von regierungsfreundlichen Funktionären in Leitungspositionen der großen staatlichen Institutionen lässt Šimkovičová freie Hand. So wurde beispielsweise ein Gastspiel des Queer Drama Festivals am slowakischen Nationaltheater in letzter Minute unter dem Vorwand, der Vertrag wäre zu spät aufgesetzt worden, abgesagt.
Die slowakische Kunstszene ringt um ihre Finanzierung und damit um ihr Weiterbestehen. Wie beim Eröffnungspanel von Nebenan/Zblízka angesprochen, sind die relativ junge Demokratie und ihre Institutionen noch nicht stabil genug, um den Angriffen von Fico und Šimkovičová standzuhalten.
Viele der Proteste, die aktuell in der Slowakei stattfinden, werden von Kulturschaffenden organisiert. Die Plattform Otvorená kultúra (Offene Kultur) versammelt Akteur:innen aus verschiedenen Disziplinen, Regionen und Strukturen, um sich gemeinsam für den Schutz der Kulturszene in der Slowakei einzusetzen. Das Netzwerk Antena bringt Mitarbeitende und Verantwortliche von Kulturzentren aus allen Teilen des Landes zusammen, um gemeinsam auf die kulturpolitische Situation zu reagieren. So wurde Geld über Crowdfunding, etwa für von Kürzungen betroffene Projekte gesammelt, vor allem aber Demonstrationen organisiert. Theaterautorin, Kuratorin und Teilnehmerin des Let’s Talk- Formats Michaela Pašteková erzählt im Interview, dass die Kulturszene in der Slowakei noch nie so geeinigt war wie heute: „Die Disziplinen waren vorher nicht so vernetzt. Es gab Zusammenschlüsse von Tänzer:innen, bildende Künstler:innen, Galerist:innen und Bibliothekar:innen. Inzwischen versuchen wir wirklich, die ganze Szene im Land zu verbinden, um uns gegen die absurden politischen Entscheidungen zu wehren. Dieser Kampf geht weit über das Ringen um Finanzierung hinaus.“ Gemeinsam suchen die Kulturschaffenden weitere Bündnispartner:innen. Pašteková erzählt, wie Kontakt zu anderen Organisationen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, wie Umweltschutzorganisationen und dem medizinischen Bereich gesucht wird. So erhofft sich, die Bewegung weitere Teile der Bevölkerung für ihre Anliegen zugewinnen.
Schwierig sei es für die Protestbewegung vor allem, mit der Willkür der politischen Maßnahmen und Aktionen umzugehen. Pašteková sagt: „Die Politiker:innen haben keine Ahnung von Kunst, ihre Entscheidungen sind nicht faktenbasiert. Gegen Absurdität und Willkür ist es manchmal schwerer vorzugehen, weil gegen sie kein rationales Argumentieren hilft.” Die größte Herausforderung bleibt aber, dass es eine realistische Zukunftsvision fehlt. Pašteková erzählt von der mangelnden Opposition zu Ficos Partei. Aus ihrer Sicht gibt es derzeit kein realistisches Szenario, wie die liberale Demokratie in der Slowakei wieder gestärkt werden und damit die kulturpolitische Lage verbessert werden kann.
Beim Festival in Hellerau kommt immer wieder zur Sprache, dass sich aktuell die Situation von Künstler:innen und Kunstinstitutionen auch in anderen europäischen Ländern verschlechtert. „Es wird schwieriger, um Unterstützung zu bitten“, erzählt Pašteková „wenn beispielsweise unsere Freund:innen in Deutschland oder in der Tschechischen Republik vielleicht in sehr kurzer Zeit in einer ähnlichen Situation sein werden.“
Das Festival leistet genau das: die Kunstszenen verschiedener Länder in einen Austausch zu bringen. Beim Format Let’s Talk wurden Institutionen und Projekte aus Dresden und der Slowakei vorgestellt. In kurzen Präsentationen erzählten die verschiedenen Sprecher:innen von ihren Projekten, Herausforderungen und Vorhaben. Als große Kunstgemeinschaft zusammenzukommen und gemeinsam Strategien gegen die bevorstehenden oder schon aktuellen Angriffe auf die Kultur zu entwickeln, ist aus Paštekovás Perspektive notwendig.
Auch in den Stücken in Hellerau selbst war der solidarische Widerstand der Künstler:innen sichtbar. Eine unfreiwillig veröffentlichte Videoaufnahme von Tänzer und Choreograf Peter Šavel, in der er seinen Körper schüttelt und zuckende Bewegungen macht, wurde in rechten Netzwerken verbreitet und löste eine Welle an Hasskommentaren aus. Andere Tänzer:innen und Performer:innen kopierten daraufhin die Bewegungen, um ihre Unterstützung von Peter Šavel zu demonstrieren. Zu sehen war diese Form des Widerstands beim Festival Nebenan/Zblízka in den Stücken „What’s the Story, Mum“ und „GIREVIK“. Auch Peter Šavel Tanzstück „Altalicious“, die letzte Performance des Festivals beginnt mit dem Schütteln. Die Tänzer:innen sind im Raum verteilt und ihre Körper beben gemeinsam.
Das „Labor Kulturjournalismus“ ist eine Kooperation zwischen der „Akademie für zeitgenössischen Theaterjournalismus“, initiiert vom Bündnis internationaler Produktionshäuser, Hellerau – Europäisches Zentrum der Künste in Dresden und Theater der Zeit.
Die 2019 gegründete „Akademie für zeitgenössischen Theaterjournalismus“ hat zum Ziel, Theaterjournalismus im deutschsprachigen Raum zu stärken – in der Überzeugung, dass ein öffentlicher Diskurs über Theater, Tanz und Performance wichtig für Kunst und Gesellschaft ist.
Die Akademie versteht sich als Möglichkeitsraum, in dem journalistische Praxen gegenstandsgerecht gedacht, erprobt und zur Diskussion gestellt werden können. Im Rahmen einer neuen Kooperation entwickeln die Teilnehmenden des fünften Akademiejahrgangs Texte und Videos, die das Verständnis von Kulturjournalismus und Theaterkritik herausfordern und erweitern. Das Labor ermöglicht neue Formate, Schreibstile und Textformen.
Weitere Texte und Videos aus dem „Labor Kulturjournalismus“ gibt’s hier auf der Website und auf unserem Instagram-Kanal @theaterderzeit.
Verantwortlich Theater der Zeit: Lina Wölfel und Nathalie Eckstein
Verantwortlich Akademie für zeigenössischen Theaterjournalismus: Esther Boldt und Philipp Schulte
Erschienen am 11.2.2025