2.1. Ein Nichts, welches für etwas gehalten werden will
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Das Reale der Perspektive – Der Barock, die Lacan’sche Psychoanalyse und das ‚Untote‘ in der Kultur (07/2013)
Wie kann man von ihnen sprechen, das vor allem und als Erstes. Denn die Schritte, in denen Galilei über Tasso spricht, erweisen sich bei genauerem Hinsehen als ebenso wenig zufällig wie die sechs Schritte, in denen er Dantes Hölle vermisst. Doch wo Letztere sicher im wohlbekannten, in beredten Abhandlungen dargelegten Vokabular der perspektivischen Technik ruhen, da liegt der Tasso-Kritik ein stummes Muster zu Grunde. Dieses Muster soll hier als Erstes entziffert, seine Stummheit befragt werden. Dazu bietet sich zunächst der Vergleich des Tasso-Kommentars mit einem anderen Text an, der vom Verfasser des berühmtesten deutschen Tasso-Dramas stammt.
Knapp 200 Jahre nach Galileis Tasso-Kritik, am Montag, den 9. April 1787, besucht Johann Wolfgang Goethe die Villa Pallagonia bei Palermo, das Lustschloss des als geisteskrank geltenden Prinzen Don Fernando Francesco Gravina (1722 – 1788). Was er in dem allein mit über 600 Statuen angefüllten und daher auch als »Villa dei mostri« bekannten Bauwerk zu Gesicht bekommt, belegt er mit den Verdikten des »Absurden«, der »geschmacklosen Denkart« und des »Wahnsinn(s) der nur in einem bigotten Geiste bis auf diesen Grad wuchern konnte«.14 Tatsächlich zählt die Beschreibung der »Pallagonischen Raserei« im neunten Kapitel der »Italienischen Reise« zu den prominentesten Abrechnungen mit (zumeist später) als barock...