Magazin
Immer wieder noch vor Müller
Heiner Müllers Küsten- LANDSCHAFTEN / Grenzen – Tod – Störung, Till Nitschmann/Florian Vaßen (Hg.), transcript Verlag, Bielefeld 2021, 514 S., 45 EUR
von Thomas Wieck
Erschienen in: Theater der Zeit: Henry Hübchen (02/2022)
Im März 2019 trafen sich an der Leibniz-Universität Hannover, eingeladen von den zwei universitären Gastgebern Till Nitschmann und Florian Vaßen, unter dem poetisch verquält anmutenden Thema „Heiner Müllers KüstenLANDSCHAFTEN. Grenzen – Tod – Störung“ 28 Referenten und Gesprächsteilnehmer, um nachzuweisen, dass und wie „Heiner Müllers Texte mit ihrem Geschichtsbewusstsein und ihrer Ästhetik das gesellschaftliche und politische Kontinuum unterbrechen“. Die rund zwei Dutzend Beiträge, ergänzt von einem Dialog zwischen Thomas Irmer und B. K. Tragelehn und einem bemerkenswerten Roundtable-Gespräch, sind, dem Thema mehr oder weniger – oder auch gar nicht, was auch kein Lapsus ist – verpflichtet, von sehr unterschiedlicher Reichweite und Tiefe und leider, alles in allem genommen, von geringer theatraler Praktikabilität. Die wissenschaftliche Müller-Gemeinde sprach zu sich und sich theoretisch Mut zu, an ihrer Überzeugung festzuhalten, „in ihm den Klassiker des deutschsprachigen postdramatischen Theaters (zu) sehen“. (Florian Vaßen)
Die theaterferne postmodernistische Einäugigkeit gestehen die beiden Gastgeber unumwunden ein, wenn sie einleitend schreiben: „Kategorien der Störung als ästhetischem Prinzip, ,um die Wirklichkeit unmöglich zu machen‘ (Heiner Müller) sind Fragmentierung, Umkehrung und Antihierarchie, Ambivalenz, Dialogizität und Polyphonie sowie Selbstreflexivität und Intertextualität.“ Das lax hingeworfene Paradoxon Müllers vom ‚unmöglich Machen der Wirklichkeit durch Theater‘ hätte geklärt werden müssen in Betracht der kommunikativen...