Verstörend genial! Schamlos provozierend! Entweder man hasst sie oder liebt sie. Nur wenige Arbeiten polarisieren so wie die von Performancemacher und Konzeptkünstler Julian Hetzel. Und das liegt daran, dass sie den Zuschauer direkt angehen, ihn in kompromittierende oder verstörende Situationen verwickeln, die dazu führen, das eigene normative Repertoire an Verhaltens-, Empfindungs- und Urteilsweisen zu reflektieren.
In der Performanceinstallation „Still“ (2014) begegne ich nach fünf Stationen, die um die Ökonomie des Wartens kreisen, einer echten Obdachlosen, die wie ein menschliches Readymade in dem weißen Ausstellungscontainer sitzt und mich in ein Gespräch über ihr Leben verwickelt, das ich außerhalb des Kunstrahmens so vermutlich nicht geführt hätte. Die „Schuldfabrik“ (2016) lädt ihre Gäste zu einem Besichtigungsparcours durch die Produktions- und Vertriebsräume einer Firma für Seife mit dem sprechenden Namen SELF ein. SELF wurde aus dem realen Wohlstandsfett niederländischer Spender hergestellt, um aus dem Erlös wirklich ein Brunnenbauprojekt in Malawi zu finanzieren. Der Begegnungsparcours produziert beim involvierten Besucher als Vertreter der westlichen Wohlstandsgesellschaft persönliche wie kollektive (Mit-)Schuld, die durch den Versuch, sich mittels Seifenkauf reinzuwaschen, perpetuiert wird. Eine ähnliche Aktion „künstlerischer Entwicklungshilfe“ mit neokolonialem Fokus praktizierte Hetzel selbstironisierend bereits als „The Benefactor“ (2011), bei einem Projekt, das darin bestand, die erhaltene Fördersumme von 2000...