Magazin
kirschs kontexte: Günstige Zeiten für Theater
Gute Wünsche zum Ende der Spielzeit
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Theater der Zeit: Isabelle Huppert: Exklusiv im Gespräch (06/2016)
Günstige Zeiten für Theater sind nicht unbedingt Zeiten, in denen leicht zu leben ist. Schon ein flüchtiger Blick in jedes Lehrbuch für Theatergeschichte zeigt ja: Die europäische Bühne erlebte ihre „Blüten“ immer in jenen Schwellenzeiten, die von einem extremen Wandel aller Vorstellungen und Gebräuche geprägt waren. Man kann es regelrecht durchgehen: Zu den Entstehungsbedingungen der antiken Tragödie gehörten eine Transformation des „Orts des Heiligen“ und die Geburt des modernen Subjekts aus der Erfahrung radikaler Ohnmacht. Das elisabethanische Theater, die französische Klassik und das barocke Trauerspiel lassen sich als Theater vor einem sich entleerenden christlichen Himmel im Zuge des Wechsels zum kopernikanischen Weltbild und dann zum modernen Rationalismus verstehen. Die bürgerliche Schauspielkunst des 18. Jahrhunderts hatte teil an dem Versuch, die Kontingenzschocks einer säkularen Moderne mit den Phantasmen der Natürlichkeit und des „Menschen“ zu verdecken; gesellschaftlich entsprach ihr der fatale Naturkult der Französischen Revolution, aber auch die Formulierung der Menschenrechte. Der Theaterentwurf Brechts wiederum verstand sich als Antwort auf ein „wissenschaftliches Zeitalter“, dessen Einsichten sich der Alltagsanschauung in extremo entzogen; zeitgleich ging es Artaud um eine Form, die das Verständnis des Verhältnisses von Natur und Kultur in epochaler Weise verschieben sollte. Wohin man also blickt – stets waren es Zeiten radikaler...