Editorial
Editorial
von Meike Wagner und Anke Meyer
Erschienen in: double 40: Good Vibrations! – Resonanzen im Figurentheater (11/2019)
Assoziationen: Puppen-, Figuren- & Objekttheater
Von dem Soziologen Hartmut Rosa stammt die vielzitierte Diagnose zu den gesellschaftlichen Umbrüchen der Heutzeit: „Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung.“ Ästhetisches Empfinden und die sensible Öffnung zur Lebensumgebung, so Rosa, kann vitale Schwingungen erzeugen, die den neoliberalen ‚Versteinerungen‘ der Globalisierung entgegenwirken. Grund genug für uns, einmal den Resonanzen des Figurentheaters nachzuspüren. Meike Wagner und Katja Spiess stellen aus verschiedenen Blickwinkeln die produktive Mehrdeutigkeit des Konzepts „Resonanz“ für Figurentheater und Mensch-Objekt-Beziehungen im Sinne einer ästhetischen Erfahrung, eines akustischen Prozesses oder einer konkreten gesellschaftlichen und politischen Wirksamkeit dar, Steffen Georgi erkundet die Grenze der Resonanz entlang von Tierpräparaten in einer Kunstinstallation. Ihre sensibilisierende Körperarbeit im Produktionsprozess des Figuren- und Objekttheaters beschreiben Jan Jedenak und Ari Teperberg jeweils unter dem Aspekt der Präsenz und des Potentials, die Zuschauer*innen mit ihren eigenen Erfahrungen ins Schwingen zu bringen. Eva Meyer-Keller und Kurt Hentschläger sehen eine resonante Widerständigkeit im Verhältnis zwischen künstlerischer Produktivität und Publikum, die eine ästhetische Öffnung erzeugen kann. Johannes Frisch diskutiert mit Charlotte Wilde Resonanzen der musikalischen Arbeit im Figurentheater. Und schließlich berichten Marina Tsaplina, Jules Odendahl-James und Torry Bend von ihrer praktischen Arbeit mit Medizin-Student*innen, die durch Resonanzerfahrung mit Puppen ihr emphatisches Potential entwickeln.
Der Rubrikenteil des Heftes eröffnet mit Festivalrezensionen aus Erlangen, Charleville-Mézières und Berlin. In einer diskursiven „Stippvisite“ entführt uns der belgische Theaterkritiker Tuur Devens nach Flandern; seinen Thesen über das „Theater der Dinge“ und die ästhetisch-philosophischen Implikationen dieses Begriffs folgt Eliane Attingers meinungsstarker Widerspruch auf dem Fuße. Ein „Seitenblick“ richtet sich auf drei Produktionen und deren Ringen um ein Selbstverständnis der Theaterkunst angesichts übriggebliebener Restnatur, ein zweiter – als Gespräch mit Bianca Sue Henne – auf das vielleicht repräsentativste Theaterfestival für Junges Publikum in Deutschland. Anschließend berichten wir über Kooperationen am Theater Waidspeicher Erfurt sowie eine hochaktuelle schwedische Inszenierung und beenden diese Jubiläumsausgabe – double Nr. 40! – mit einer Stimmensammmlung zur Dresdner „Werkstatt Regie und Objekt“.
Wir wünschen „good vibrations!“ beim Lesen und sind gespannt auf kritische Resonanz,
Anke Meyer und Meike Wagner
G o o d V i b r a t i o n s !
Resonances in Figure Theatre
From the sociologist Hartmut Rosa comes the much quoted diagnosis of contemporary social upheavals: “If acceleration is the problem, then resonance may be the solution". According to Rosa, aesthetic sensation and the sensitive opening to the living environment can generate vital vibrations that counteract the neo-liberal ‘petrifactions' of globalization. Reason enough for us to trace the resonances of figure theatre and explore the productive ambiguity of the concept of “resonance" for figure theatre and human-object relationships from different perspectives. The concrete points of reference range from animal preparations in an art installation to performative attempts to make viewers vibrate with their own experiences; from installations that provoke resonant resistance all the way to a project with medical students who are helped to develop empathy by bringing puppets to life.