Die klingende Höhle
Stimmen in der Oper
von Roman Lemberg
Erschienen in: Recherchen 113: Die Zukunft der Oper – Zwischen Hermeneutik und Performativität (06/2014)
Roman Lemberg
DIE KLINGENDE HÖHLE
Stimmen in der Oper
Friedrich Nietzsche kritisiert die Oper als die Kunstform des Idylls schon von ihrem Ursprung an: „Hier sehen wir in das innerlichste Werden dieser recht eigentlich modernen Kunstgattung, der Oper: ein mächtiges Bedürfnis erzwingt sich hier eine Kunst, aber ein Bedürfnis, unästhetischer Art: Die Sehnsucht zum Idyll, der Glaube an eine urvorzeitliche Existenz des künstlerischen und guten Menschen.“1
Das Glück des Menschen wird nicht in einer erreichbaren Zukunft gesehen, sondern in einer verlorenen Vergangenheit. Im Idyll wird ein Urzustand des Menschen in Verbundenheit mit seiner Welt fantasiert. „Der künstlerische Urmensch“ äußert seine Affekte wie von selbst im Gesang. Das Vermögen, sich direkt im Gesang auszudrücken, ist mit der Empfindung von Einheit verknüpft, Einheit mit der Natur.
„Entweder, sagt dieser [Friedrich Schiller], ist die Natur und das Ideal ein Gegenstand der Trauer, wenn jene als verloren, dieses als unerreicht dargestellt wird. Oder beide sind ein Gegenstand der Freude, indem sie als wirklich vorgestellt werden. Das erste gibt die Elegie in engerer, das andere die Idylle in weiterer Bedeutung. Hier ist nun sofort auf das gemeinsame Merkmal jener beiden Vorstellungen in der Operngenesis aufmerksam zu machen, dass in ihnen das Ideal nicht als...