Zum Asozialen des Sozialen
Erschienen in: Recherchen 123: Brecht lesen (06/2016)
Assoziationen: Wissenschaft Dossier: Bertolt Brecht
Die Dreigroschenoper hat Epoche gemacht im Leben Bertolt Brechts. Der Welterfolg – das Stück wurde nach der Uraufführung im August 1928 an 120 Theatern gespielt und reiste quer durch Europa – brachte ihm, der noch wenige Jahre zuvor wegen Unterernährung in die Berliner Charité eingeliefert worden war, zum ersten Mal wirklich Geld ein, er wurde – relativ – reich. Aber er schwamm nicht, was selten gewürdigt wird, einfach auf der Woge dieses Erfolgs weiter, den der Theaterskandal um Mahagonny im folgenden Jahr auf andere Weise fortsetzte, sondern wandte sich vielmehr der Schulmusikbewegung, den Arbeiterschulen zu und entwickelte seine radikalste, über das epische Theater schon wieder experimentierend hinausgehende, das Theater als Institution insgesamt sprengende Konzeption des Lehrstücks. Die Dreigroschenoper trägt Spuren dieser politischen und ästhetischen Radikalisierung, blieb aber, wie das Missverständnis ihres Riesenerfolgs bezeugt, den Erwartungen eines breiten bürgerlichen Publikums kommensurabel. Dass das zutiefst Böse des vielleicht weltweit bekanntesten deutschen Theaterstücks so wenig wahrgenommen wurde, lag zum einen an der Wahrung des Theater-Rahmens, der nicht wie im learning play aufgebrochen wird und der das Publikum gegen allzu heftige Lust und produktiven Schrecken der Selbsterkenntnis absichert. Zum anderen an der betörend schrägen Musik von Kurt Weill und nicht zuletzt an dem pointierten...