2.3. Andrea Pozzo, oder: Zwischen Struktur und Topologie
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Das Reale der Perspektive – Der Barock, die Lacan’sche Psychoanalyse und das ‚Untote‘ in der Kultur (07/2013)
Haß verweist in ihrem Vortrag auf die Verwandtschaft des Leibniz’schen Relationenmodells mit jenen Raumarbeiten Pozzos, die von dem Kunsthistoriker Felix Burda-Stengel unter dem Gesichtspunkt einer Mobilisierung des Betrachters untersucht wurden. Die grundlegende Annahme in Burda-Stengels (aufgrund seines frühen Todes Fragment gebliebener) Arbeit über »Andrea Pozzo und die Videokunst« besagt dabei, dass Pozzo mit seiner anamorphotischen Kunst letztlich eine »Dekonstruktion der Perspektive« durchgeführt habe.32 Für Pozzos Kirchenräume ist das in der Tat nicht schwer einzusehen. So sammelt er im Jahr 1676, nach seinem Noviziat in Mailand, ersten Ruhm, indem er die architektonisch missproportionierte Jesuitenkirche in Mondovi »geraderückt« – und zwar ausschließlich mittels Anamorphosen und perspektivischer Täuschungen. An Wänden und Decken des Kirchenraumes bringt Pozzo verschiedene anamorphotische Gemälde und Fresken an und baut sogar eine Tabernakelattrappe aus Leinwänden, um den Raum illusionär zu verlängern, ihm größere Tiefe zu geben, ungleichmäßige Decken zu kaschieren oder auszugleichen und zudem überquellenden Prunk zu simulieren. Besonders raffiniert wird die Arbeit dadurch, dass die einzelnen Eingriffe verschiedene »Illusionsgrade« haben und sich somit quasi stufenförmig zueinander verhalten. Das hat allerdings zur Folge – und nach Burda-Stengel ist eben das kein unfreiwilliger Nebeneffekt, sondern Kalkül – dass der Gang durch den Kirchenraum für den Besucher einen desillusionierenden Schock nach...