Kommentar
Vor dem Kollaps
Wie eine fehlgeleitete Kulturpolitik die freie Szene in Wien gefährdet
Erschienen in: Theater der Zeit: Sie sind zurück – Vegard Vinge und Ida Müller im Nationaltheater Reinickendorf (09/2017)
Assoziationen: Debatte
2003 machte Wien von sich reden, weil ein Kulturstadtrat eine Reform auf den Weg gebracht hatte, die die freie Theaterszene in Wien verändern sollte. Eine scheinbar unüberbrückbare Kluft zwischen freien Gruppen und Theaterhäusern sollte überwunden werden. Die Gießkannenförderung sollte durch das Prinzip der „Ganz oder gar nicht“-Förderung ersetzt werden, ganzjährig bezahlte Kuratoren sollten die Verteilung der Projektförderung der Stadt Wien übernehmen, und sogenannte Koproduktionshäuser sollten zusätzliche Orte der künstlerischen Distribution werden. Ziele der Reform waren Professionalisierung und Internationalisierung der freien Szene. Alle vier Jahre wurde zusätzlich eine unabhängige Jury berufen, die über vierjährige Konzeptförderungen für Gruppen, Festivals und Häuser zu entscheiden hatte. Zwischendurch kursierten Schlagworte wie Mindestgagen und geregelte Anstellungsverhältnisse. Heute macht Wien von sich reden, weil die hochsubventionierten Wiener Festwochen (10,5 Millionen Euro aus dem Kulturbudget der Stadt Wien) sich unter neuer Leitung in ein Subkulturgewand kleideten, samt entsprechenden politischen Diskursen. Doch die Rechnung ging nicht auf: Der Intendant stimmte als Zeichen seiner politischen Integrität kommentarlos der fristlosen Entlassung seiner neuen Kuratoren zu. Zwei Bauernopfer, um den Intendantenkopf nach heftiger Kritik kulturpolitisch zu retten.
Und wie ist die Situation der freien Szene heute? Das Gesamtvolumen der Projektförderung bewegt sich seit 2004 bei um die 2,6 Millionen Euro, wobei sich...