Magazin
Kraftwerk Schleef
Kurzer Bericht vom Einar-Schleef-Symposion in Wien
von Marko Kloss
Erschienen in: Theater der Zeit: Henry Hübchen (02/2022)
Assoziationen: Burgtheater Wien
2021 jährte sich zum zwanzigsten Mal der Todestag von Einar Schleef. Aus diesem Anlass veranstaltete das Burgtheater in Wien vom 12. bis 13. November ein Symposion mit Vorträgen, Lesungen, Diskussionen und künstlerischen Interventionen. Theaterforschende, Kunstschaffende und Interessierte waren eingeladen, um gemeinsam über den großen Impulsgeber des zeitgenössischen Theaters zu reflektieren und von ihren Auseinandersetzungen mit dem Erbe Schleefs zu berichten. Die Veranstaltung fand im Kasino am Schwarzenbergplatz statt und firmierte unter dem Titel „Das Kraftwerk“.
Dass man sich in der Donau-Metropole für den Theatermacher aus Sangerhausen engagierte, hatte guten Grund, denn Wien war der Ort, an dem Schleef 1998 mit der legendären Uraufführung von Elfriede Jelineks „Ein Sportstück“ einen seiner größten Theatererfolge feierte und im Jahr darauf mit „Wilder Sommer“ nach Carlo Goldoni und „Der Golem in Bayreuth“ von Ulla Berkéwicz zwei weitere, viel beachtete Inszenierungen realisierte. Auch daran erinnerte die Tagung, die von dem Dramaturgen Alexander Kerlin und dem Theaterwissenschaftler Sebastian Kirsch kuratiert wurde.
Das Symposion eröffnete mit einer Grußbotschaft von Elfriede Jelinek, die von der Grande Dame des Burgtheaters Elisabeth Augustin verlesen wurde. Die Keynote hielt die renommierte Theaterwissenschaftlerin Ulrike Haß. Auf fundierte Weise näherte sie sich dem Theater Einar Schleefs über das theatergeschichtlich relevante, aber nur schwer zu fassende Phänomen des Chors, der ja gerade bei Schleef eine zentrale Rolle spielte und maßgeblich durch dessen Arbeiten im Theater re-etabliert wurde. Der multiperspektivisch angelegte Vortrag lieferte verschiedene Zugänge zum Werk des Künstlers und betonte dabei das Zukunftsweisende des Schleefʼschen Theaterentwurfs. Den ersten Veranstaltungstag beschloss eine Lesung von Texten aus den Wiener Tagebüchern Schleefs durch die Schauspielerin Bibiana Beglau. An ihrer Seite agierte dann tatsächlich auch ein Chor von Schauspielstudierenden aus Graz.
Der zweite Tag des Symposions bot den Teilnehmenden eine Reihe interessanter Vorträge, die jeweils verschiedene Aspekte des Schleefʼschen Theaters beleuchteten. So ging es beispielsweise um die „andere“ Sprechweise des Chors (Jörn Etzold), Schleefs Chortheorie und -praxis (Maria Kuberg), das Verhältnis von Tragik und Komik (Silke Felber) oder das Phänomen des Stotterns (Henning Burk). Ebenso spannend wie aufschlussreich waren auch die beiden Podiumsdiskussionen mit Theaterpraktiker:innen und Weggefährt:innen (u. a. mit Bettina Hering, Rita Thiele, Claudia Bosse und Robert Borgmann). Dabei erfuhr man einiges aus der konkreten Zusammenarbeit mit dem Regisseur, aber auch die vielfältigen Rückbezüge auf Schleef im Gegenwartstheater wurden deutlich.
Das Symposion insgesamt zeigte, dass die Auseinandersetzung mit Einar Schleef und seinem Theater in vielerlei Hinsicht lohnenswert und immer wieder inspirierend ist. Auch wenn die Kraft seiner Inszenierungen heute nicht mehr erfahrbar ist, Schleefs Theaterdenken liegt in seinen Texten vor. Welches enorme Potenzial diesem Denken innewohnt, das konnte man jedenfalls in Wien eindrucksvoll erleben. Am Ende kann man, um einige Worte aus Jelineks Grußbotschaft aufzugreifen, nur dankbar sein, dass wieder einmal über Schleef, den großen Sprecher, gesprochen wurde.
(Hinweis: Einige Beiträge des Symposions wurden vom Veranstalter dokumentiert und stehen zum Nachhören bzw. Nachschauen auf der Website des Burgtheaters zur Verfügung.)