Theater der Zeit

Kolumne

Das Theater der anderen – Die neue Richtung, die nichts kostet

von Kathrin Röggla

Erschienen in: Theater der Zeit: Theatermusik – Welttheater – Haus der Kulturen der Welt Berlin (06/2023)

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Wir können billiger, habe ich das schon gesagt? Wir produzieren jetzt immer billiger, höre ich zum Beispiel aus dem Hörspielbereich. Wozu aufwendige Tonstudios und Produktionsetats? Man fährt mit dem Fahrrad an einem Schauspieler, einer Schauspielerin vorbei und hält das Handy hin, und schon ist die Aufnahme im Kasten. Oder noch besser: Wir machen jetzt überhaupt gar nichts mehr mit irgendwelchen Sendern, die einst das viele Geld mal hatten, sondern gehen in die freie Szene und machen alles selbst. „Mach doch mit deinem Handy dein Feature, mach doch mit deinem Handy den Langspielfilm, mach doch mit deinem Handy den Theaterabend. Das geht doch schon irgendwie. Ihr seid doch jung, ihr könnt so was. Schnell und billig, eben im improvisierten Bereich. Das ist auch irgendwie lebendiger.“ Es ist schon erstaunlich, was man alles mit seinem Handy machen kann. Dazu kommt die KI, wie wir wissen, die KI löst dann auch jegliche komplizierten Textverfahren, die KI kann Kunst, wozu braucht es da noch Nachdenkphasen, die KI ersetzt Redakteur:innen, Kurator:innen und Programmverantwortliche. Intelligent mit KI ist das Motto. ChatGPT hat schon jedes Hausaufgabenproblem in der Schule gelöst, warum nicht auch die im Theater?

So könnte ich fortfahren und weitermachen, aber ich sehe ein, der Moment für polemische Zuspitzungen ist ungünstig. Im Moment sitze ich nämlich in einer Kommission. Es geht um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, worum auch sonst? Die Kommissionsarbeit gebietet, nichts über ihre Besprechungsinhalte nach draußen zu geben, auch wenn sie teilweise öffentlich tagt. Es ist ein Lernwettbewerb der Demokratie. Transparenz und wertschätzende Sprache, gerechte Verfahrensformen, das steht auf der einen Seite, die Usurpierung dieser Eigenschaften und Haltungen auf der anderen. Scheintransparenz, bestellte Gutachten, Überfrachtung der Kommissionsarbeit mit viel zu vielen Tagesordnungspunkten, Überlastung und zu große Kommissionsgrößen hebeln alles wieder aus, was man als Demokratiegewinn verbuchen möchte, und doch bleibt ein gewisser Gewinn stets in Reichweite. Darum gilt es zu kämpfen. Aber jetzt sitze ich im Saal mit den vielen Mikrophonen, Sprechordnung und zivilgesellschaftlicher Diversität. Ich erlebe, wie man Probleme aussitzt, Mehrheiten organisiert und wie sich ein Raum in einer achtstündigen Sitzung verändert. Er wandert aus sich aus, sozusagen, und die Menschen wirken ab der siebten Stunde seltsam verschwommen. Mein rhetorisches Vermögen lässt leider von Anfang an zu wünschen übrig und ich hege eine gewisse Bewunderung für die Abgeordneten, die ihre Statements in Eleganz aus dem Ärmel schütteln. Wichtigster Lernmoment ist das Verständnis des dramaturgischen Moments. Wann habe ich einen Hebel, wann lässt sich überhaupt vernünftig was setzen, und wie oft kann ich meine Stimme erheben. Kann ich darauf vertrauen, dass mein Punkt durchaus auch mal aus einem anderen Mund kommt? Was lässt sich in einem Gremium bewegen? Vielleicht sogar den Rundfunk retten? Quatsch mit Soße.

Und doch. Unser aller Shakespeare scheint hier jedenfalls ins Kulissenwesen gerutscht zu sein, in Wirklichkeit die Welt rund um den Sitzungssaal, das, worum es hier geht und von dem immer Zwischenrufe kommen: Ruhegehälter, Zweiklassensystem, Umverteilung von unten nach oben mit Boni-System, Kultur der Angst, autoritäres Verhalten, Digitalisierung als Deckmantel für Neoliberalisierung und inhaltlichen Kahlschlag, Feudalwesen! Und Abschaffung, wohin man blickt, quer durch die ganze ARD. Kann uns Theaterleuten egal sein? Weit gefehlt.

Die immense Kraft der Kulturvermittlung durch Radio und Fernsehen ist nicht zu unterschätzen. Die Partnerschaften, die zwischen Sendern und Theaterhäusern ­bestehen, ermöglichen Produktionen und Öffentlichkeit. Das gilt es alles zu bewahren und zu transformieren, trotz aller Zukunftsräte, die im Abseits tagen. Aber ich sitze im Raum mit den Mikros und den langen ­Tischen, nein, den immer länger werdenden. Kunst ist irgendwie schon wichtig, so für die Demokratie, werde ich gleich sagen, nur irgendwie dezidierter. Wird es ankommen? Und wenn ja, wo?

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