Das Spiel der rechten und der linken Hand
von Dietmar Dath
Erschienen in: Georg Lukács – Texte zum Theater (06/2021)
I. Ein unmöglicher Job
Es gibt im Kapitalismus keine Gesellschaftswissenschaften. Es kann da auch keine geben, ob sie nun von Wirtschaft oder Kunst handeln sollen. Wirtschaftskunde ist eine Gesellschaftswissenschaft; sie redet davon, wie Gesellschaften das Nötige und Unnötige des Lebens erzeugen, wie sie es verteilen, wie sie sich reproduzieren. Ästhetik ist eine Gesellschaftswissenschaft; sie redet davon, wie Gesellschaften das Erbauliche und das Unterhaltsame der Kultur erzeugen, verteilen und reproduzieren. Das Fehlen einer Wirtschaftskunde ist für eine Gesellschaft schlimmer als das Fehlen einer Ästhetik: Leute, die nicht wissen, wie und wovon sie leben, sind noch dümmer und also für sich wie andere gefährlicher als Leute, die bloß nicht wissen, was ihnen so alles Hübsches oder Grausiges einfällt und was sie, wenn andere es ihnen zeigen, innerlich bewegt oder anderweitig anregt.
Für den Imperialismus gilt, was ich über den Kapitalismus gerade gesagt habe, in bis zum Blödsinn gesteigertem Maß. Dass Kapitalismus und Imperialismus keine Gesellschaftswissenschaften zulassen, heißt nicht, dass niemand Kapitalismus und Imperialismus erforschen kann. Den letzteren, der jetzt herrscht, haben zum Beispiel Rosa Luxemburg (»Die Akkumulation des Kapitals«, 1913), Wladimir Iljitsch Lenin (»Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus«, 1917) und Eugen Varga (»Die Krise der kapitalistischen Weltwirtschaft«, 1921) schon vor...