Ensembletheater und Intendanzsystem: Bremsen kultureller Vielfalt im Theater?
von Julius Heinicke
Erschienen in: Recherchen 148: Sorge um das Offene – Verhandlungen von Vielfalt im und mit Theater (05/2019)
Assoziationen: Volksbühne Berlin
Im Sommer 2017 ging ein regelrechter Aufschrei in Form einer Petition durch die deutsche Theaterlandschaft, der Verfasser war selbst einer der 99 Erstunterzeichner. Auf der Plattform change.org startete Evelyn Annuß am 30. Juli die Kampagne, da der designierte Intendant der Volksbühne Chris Dercon in seinen Planungen weder einen Repertoirebetrieb noch ein Ensemble vorgesehen hatte:
Vor diesem Hintergrund fordern wir den zuständigen Kultursenator Klaus Lederer auf, die Erfüllung des auch vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller immer wieder unterstrichenen Auftrags (dauerhafte Ensemblestrukturen mit vor Ort erarbeiteten Produktionen, eigenes Repertoire) zu überprüfen und unter Einbeziehung der Stadt die Diskussion um die Zukunft der Volksbühne neu zu führen, um einen entsprechenden Spielbetrieb an einer der wichtigsten Berliner Bühnen sicherzustellen.306
Auffällig war die sehr schnell wachsende Anzahl an namhaften Persönlichkeiten aus den Kultur- und Theaterwissenschaften. Christina von Braun, Joachim Fiebach, Hans-Thies Lehmann, Christoph Menke, um nur einige zu nennen, waren spontan bereit, sich diesem grundlegenden Strukturwandel an der Volksbühne entgegenzustellen: „Kein Ensemble mehr? Kein Repertoire? An der Volksbühne? Unvorstellbar!“, mag vielen durch den Kopf gegangen sein. Denn das traditionelle Ensembletheater, welches zumindest einigen wenigen Schauspielern für ein paar Jahre soziale Sicherheit verschafft, der einzigartige Repertoirebetrieb deutscher Bühnen, sind die Grundfesten deutscher Theaterlandschaft, für die...