4 Klassifizierung von Spiel- und Sprechweisen
von Julia Kiesler
Erschienen in: Recherchen 149: Der performative Umgang mit dem Text – Ansätze sprechkünstlerischer Probenarbeit im zeitgenössischen Theater (09/2019)
4.1 Realistische, epische, performative Spielweisen
Die Darstellungsformen von Schauspielerinnen und Schauspielern lassen sich für das zeitgenössische deutschsprachige Theater mit einer vorgeschlagenen Klassifikation von Bernd Stegemann in realistische, epische und performative Spielweisen einteilen. Stegemann betont, dass die Entwicklung der darstellenden Künste vorrangig von den unterschiedlichen dramatischen Texten ausging, die eine bestimmte Aufführungspraxis erforderten bzw. die Dramatiker/-innen für eine bestehende Aufführungspraxis schrieben (vgl. Stegemann 2011, 102). So provozierte im 18. Jahrhundert die Dramengattung des bürgerlichen Trauerspiels die Erfindung des bürgerlichen Theaters, in der es um eine realistische Menschendarstellung geht. Diese erfuhr laut Stegemann ihren Höhepunkt im System Stanislawskis (vgl. ebd.).
Der Schauspieler soll agieren, als gäbe es kein Publikum. Er soll sich seine Gefühle anmerken lassen, ohne sie künstlich zu vergrössern. Sein Dasein auf der Bühne soll innerhalb der vorgestellten Realität des Dramas und des Theaters von einer glaubwürdigen Realität sein. Der Anteil an performativen, also das Spielen selbst thematisierenden Elementen soll klein, der Anteil an repräsentativen, also die Eigenschaften der gespielten Figur zeigenden Mitteln soll gross sein. (Stegemann 2011, 102f.)
Im 20. Jahrhundert kommt es im Zuge der „performativen Wende“ zu einer Betonung der performativen Eigenschaften der darstellenden Künste. Die gegenseitige Anwesenheit von Darsteller/-innen bzw. Performer/-innen und Zuschauer/-innen innerhalb der gleichen...