Es gehört zu den Paradoxien des Spätkapitalismus, dass sich die Menschen zwar permanent miteinander vernetzen, sich einander übereinander informieren und miteinander kommunizieren, und doch weniger als je miteinander zu tun haben. Der Philosoph Byung-Chul Han bringt diesen Befund mit der Erosion einer spezifischen Kulturtechnik zusammen, dem Ritual. „Vom Verschwinden der Rituale. Eine Topologie der Gegenwart“ ist ein knapp über einhundert Seiten umfassender, ausgesprochen pointierter Essay. Han kontrastiert das Ritual mit der Gegenwart. Während ersteres eine Gemeinschaft ohne Kommunikation gestiftet habe, hätten wir nun Kommunikation ohne Gemeinschaft, wie er mehrfach betont. Das Ritual ist eine durch Wiederholung strukturierte symbolische Vermittlung, die zur Form wird. Ohne das breitet sich das narzisstische Selbst aus, form- und distanzlose Affektkommunikation herrscht vor. Was Han beschreibt, ist der gesellschaftliche Wandel der Subjektwerdung. Welche Mittel stehen dem Einzelnen bereit, sich in der Kultur zu bewegen? In der nach Authentizität heischenden Performancegesellschaft sehr wenige, wenn man Han fragt, der sich damit an ältere Analysen wie „Die Tyrannei der Intimität“ von Richard Sennett und „Das Zeitalter des Narzissmus“ von Christopher Lasch anschließt. Vor allem die mediale Ausbreitung des Ichs ist ein Symptom seiner Verarmung. Der Narzissmus verdrängt den Eros aus der Kultur, auch die Kunst wird zum Diskurs –...