Ist es möglich, Formen des Zusammenseins, der Kollektivität, vielleicht sogar der Gemeinschaft zu finden, die nicht auf einem Opfer beruhen? Kann man es mit anderen ohne einen „Sündenbock“ und dessen Blitzableiterfunktion aushalten, kann man mit ihnen in Beziehung treten, ohne sich über dem Tod eines Dritten zu vereinigen – wie immer dieses oder dieser Dritte genau beschaffen sein mag? Anders gefragt: Kann man das Opfer in all seinen Spielarten selbst opfern, es als den vermutlich wirksamsten Kitt, den Gemeinschaftsbildungen kennen, abschaffen?
Drei Tänzer und vier Tänzerinnen finden sich auf der Bühne des HAU 1 zusammen. Sie tun es zaghaft, vorsichtig, mit tastenden, fragenden Bewegungen, so dass „zusammen“ fast schon eine zu starke Bestimmung ist. Dennoch werden immer wieder zeitweilige Verbindungen zwischen Einzelnen spürbar, vielleicht eher zwischen einzelnen Körperteilen und Extremitäten als zwischen ganzen, konturierten Körpern; auch flüchtige Gruppierungen lassen sich hie und da erahnen. Zugleich ist eine klopfende, flötende, irgendwie exotisch anmutende Musik von Leo Schmidthals zu hören. Es wird noch fast eine halbe Stunde dauern, bis endlich die berühmte Fagottpassage erklingt, die Igor Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ eröffnet: jener Markstein der Ballett- und Musikgeschichte, der die Rhythmen des Maschinen- und Massenzeitalters mit dem heidnischen Opferritual einer archaischen russischen...