Musik
Konzertieren oder Musizieren?
von H. H. Grassmann
Erschienen in: Theater der Zeit: Stoff, Inhalt, Form (08/1946)
... und nun der ,‚entartete" Hörer! Wirklich, das soll keine Retourkutsche sein! Aber ist es nicht an der Zeit, nachdem man zwölf Jahre lang verächtlich auf die sogenannte „entartete" Musik gezeigt hat, auch einmal auf den „entarteten" Hörer hinzuweisen?
Ein schwerer Vorwurf. Ich weil es. Doch, noch sind uns jene hochtrabenden Worte von der „neuen, wahren Hörergemeinde", von der „Gemeinschaft auch im Kunsterleben" zu gegenwärtig, noch spuken sie hier und da in den Vorstellungen einzelner herum, daß wir sie nicht mit • Stillschweigen wie die zeitlich überholten, völlig unmodernen Textworte eines alten Schlagers übergehen können. Nein, man hatt es zu laut und zu siegesbewußt herausgeschrien, daß der Kunst mit einem Male Menschenkreise und damit auch Wirkungskreise erschlossen worden seien, die man früher für völlig unzugängig gehalten hatte. Man wollte überhaupt wohl zum ersten Male entdeckt haben, daß in jedem deutschen Menschen ein innerstes Bedürfnis nach echter Kunst schlummere. Und es muß so stark gewesen sein, daß selbst die großartigsten Hoffnungen für die künftige Durchdringung von Volk und Kunst zu einem wahren Taumel der Begeisterung emporgerissen wurden und sich dann in dem erhebenden Gefühl des Festlichen und Hochgestimmten überschlugen.
Ein einziger ernüchternder Schlag löste diesen Bann. Mit einem Male war der...