Rezension
Wie hältst du’s mit Israel?
Ein Sammelband untersucht Antisemitismus im Kunstbetrieb
von Lara Wenzel
Erschienen in: Theater der Zeit: Amerikanisches Theater (11/2024)
Assoziationen: Buchrezensionen
Vor 200 Jahren ließ sich der Jude Heinrich Heine protestantisch taufen, um so eine Eintrittskarte in die europäische Kultur zu erhalten. Heute ist es die „sogenannte Israelkritik“, schreibt Esther Slevogt, die jüdischen und israelischen Künstler:innen Einlass in den Kunstbetrieb gewähren soll. In chronologischer Reihenfolge zeichnet die Chefredakteurin von nachtkritik das antisemitische Versagen der deutschsprachigen Theaterszene nach dem 7. Oktober auf. Öffentliche Stellungnahmen kamen nur zögerlich, wie die vom deutschen Bühnenverein, der seine Solidarität mit der deutschen Staatsräson begründete. Aber überschwängliche Zeichen, wie das Heraushängen einer Ukraine-Fahne nach dem Einfall Russlands, vermisste Slevogt schmerzlich.
Dass die Theaterszene der Gewalt der Hamas gegen die größte jüdische Gemeinde der Welt wenig Aufmerksamkeit schenkte – ja, sie sogar zum antikolonialen Widerstand verklärte –, war bei Weitem kein Einzelfall. Im von Matthias Naumann herausgegebenen Sammelband „Judenhass im Kunstbetrieb“ eröffnet sich eine aufschlussreiche Chronik des Antisemitismus in allen Sparten der Kunst. Wann das alles angefangen hat, können die zehn Autor:innen, die in ihren Texten über Literatur, bildende Kunst oder Comics schreiben, nicht sagen. Nicht erst seit der documenta 15, nicht erst seit der Initiative GG 5.3 Weltoffenheit, die Antisemitismus zu einer Frage der Kunstfreiheit machte, und auch nicht seit dem NS, denn davor stellte Richard Wagner bereits die „Judenfrage“. Seit dem 7. Oktober ist der abstrakte Antisemitismus und der konkrete Judenhass wieder lauter und bedrohlicher geworden. Er trägt zum Ausschluss von jüdischen und israelischen Künstler:innen bei und befeuert den antisemitischen Verschwörungswahn.
Alexander H. Schwan, der sich als Wissenschaftler mit der von Juden und Jüdinnen geprägten Tanzmoderne auseinandersetzt, attestiert seiner Disziplin: Der „jüdische Charakter der Tanzmoderne wird bis heute in der Forschung weitgehend ignoriert“. Während die Bedeutung der Tanzpionier:innen, die in den 1930er Jahren in Europa verfolgt wurden und nach Israel flohen, vernachlässigt wird, verbreite sich die Erzählung, „dass jüdische Tanzkünstler*innen, die moderne Bewegungskunst aus Europa in den Nahen Osten exportiert haben und damit gleichzeitig die lokalen palästinensischen Tanztraditionen verdrängt hätten“.
In dieser Verschwörungserzählung zeigt sich ein manichäisches Weltbild, das nur Gut gegen Böse, Unterdrücker gegen Unterdrückte kennt. Palästinenser:innen werden mit der Opferposition identifiziert, während Israel als übermächtiger westlicher Akteur erscheint. Gruppen wie die Hamas wirken so, als hätten sie keine eigene Handlungsmacht und würden nur auf den Aggressor Israel reagieren. Ihre eigenen, vernichtungsantisemitischen Ziele, die vom iranischen Regime unterstützt werden, bleiben unsichtbar. Aus dieser dekolonialen und antirassistischen Perspektive solidarisierten sich viele Künstler:innen mit Gaza gegen den als übermächtig imaginierten Akteur Israel, ohne darin ihren eigenen Antisemitismus zu erkennen.
Neben Beispielen von antizionistischen Boykottlisten und künstlerisch verpackten Intifada-Rufen berichtet Slevogt auch von einem Lichtblick im antisemitischen Dunst, der Stellungnahme des Maxim Gorki Theaters. In ihr gelang es, die Welle des Antisemitismus zu verurteilen, ohne die künstlerische Position mit der Kriegslogik in eins zu setzen: „Der Krieg verlangt nach der einfachen Einteilung in Freund und Feind. Er wird die Probleme nicht lösen. Er lebt von der Eskalation. Jetzt ruft die Hamas dazu auf, jüdische Einrichtungen in Deutschland zu attackieren. Das stellt uns an die Seite aller jüdischen Menschen in Deutschland. Theater lebt von der Vielstimmigkeit. Von der Auseinandersetzung, vom Streit. Mit den großen Vereinfachern aber kann es wenig anfangen.“
Judenhass im Kunstbetrieb. Hg. von Matthias Naumann, Neofelis Verlag 2024, 214 S., € 18 (Paperback) / € 18 (E-Book) – Hier bestellen