Magazin
Günther Rühle erinnert sich
Günther Rühle: Ein alter Mann wird älter. Hg. von Gerhard Ahrens. Alexander Verlag, 232 S., 22,90 Euro
Erschienen in: Theater der Zeit: Volksbühne Neu (11/2021)
Wer Theatergeschichte schreibt, wird selbst ein Gegenstand der Theatergeschichte; das gilt für Eduard Devrient, von dem wir am meisten über das deutsche Theater der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wissen, und das gilt für Günther Rühle, der der Devrient des ٢٠. Jahrhunderts ist: Seine beiden voluminösen Bände über das deutsche Theater von 1887 bis1945 und von 1945 bis 1966 gehören in jede größere deutsche Bibliothek.
In dem ersten Band hatte er als ein Nachlebender das „Theater der Republik“ ergründet, um Erfahrungen und Orientierungen für die westdeutsche Theatergegenwart zu gewinnen, in die er zur gleichen Zeit als Kritiker aktiv einbezogen war. Das brachte ihn in Konflikt mit einem neuen Herausgeber, der hieß Joachim Fest und brachte ihn als Kritiker zum Verstummen, indem er ihn als Redakteur beförderte: Rühle redigierte fortan das gesamte Feuilleton, musste aber das Theaterressort an einen konservativen Kollegen abgeben. Als dieser Neuenfels’ umwälzende Frankfurter „Medea“-Inszenierung in einer Weise missbilligte, dass Rühle sich bewogen sah, ins eigene Blatt eine Gegenkritik zu setzen, durfte er dort überhaupt nicht mehr über Theater schreiben. „Ich werde euch alle überleben“, knirschte er einmal nach dem Verlassen des fürstlichen Herausgeber-Zimmers; nicht ohne Genugtuung vermerkt er, dass ihm das gelungen sei.
Er tut dies, inzwischen...