Befreiungspotenziale und das Drama in Hegels Ästhetik
von Julius Heinicke
Erschienen in: Recherchen 148: Sorge um das Offene – Verhandlungen von Vielfalt im und mit Theater (05/2019)
Assoziationen: Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Für Überlegungen zu Theater ist es zunächst bemerkenswert, dass das Ende in den Vorlesungen über die Ästhetik das Drama markiert, welches nicht nur ein sehr zeitgemäßes Genre im 19. Jahrhundert darstellt, sondern eine entscheidende Stufe innerhalb der Hegel’schen Systematik erklommen hat:
Das Drama muss, weil es seinem Inhalte wie seiner Form nach sich zur vollendetesten Totalität ausbildet, als die höchste Stufe der Poesie und der Kunst überhaupt angesehen werden. Denn den sonstigen sinnlichen Stoffen, dem Stein, Holz, der Farbe, dem Ton gegenüber, ist die Rede allein das der Exposition des Geistes würdige Element und unter den besonderen Gattungen der redenden Kunst wiederum die dramatische Poesie diejenige, welche die Objektivität des Epos mit dem subjektiven Prinzip der Lyrik in sich vereinigt, indem sie eine in sich geschlossene Handlung als wirkliche, ebenso sehr aus dem Inneren des sich durchführenden Charakters entspringe als in ihrem Resultat aus der substantiellen Natur der Zwecke, Individuen und Kollisionen entschiedene Handlung in unmittelbarer Gegenwärtigkeit darstellt.144
Hegel definiert hier das klassische Drama nicht nur als Text, sondern in der Betonung der „Rede“ und der „unmittelbaren Gegenwärtigkeit“ auch als Aufführung. Vor dem Hintergrund der Darstellbarkeit von „Vielfalt“ wird zwar das Potenzial von Theater deutlich, unterschiedliche Charaktere und deren...