1 Einführung ins Kapitel
von Julia Kiesler
Erschienen in: Recherchen 149: Der performative Umgang mit dem Text – Ansätze sprechkünstlerischer Probenarbeit im zeitgenössischen Theater (09/2019)
Die „Übersetzung“ des Literaturtextes in den Bühnen- oder Theatertext ist nicht nur ein Problem der Inszenierung von Bühnenereignissen. Es ist auch ein Problem für die Schauspielausbildung. Das „Sprechen auf der Bühne“ ist nicht das mehr oder weniger gute Sprechen eines Literaturtextes, sondern das adäquate Sich-Einfügen in den Bühnentext mit dem Wort. Nicht, daß das Wort seinen Kunstcharakter verlieren müßte – er darf aber nur verwandelt – übersetzt – in Erscheinung treten. Aus dieser Problematik entsteht ein spannungsreiches – gelegentlich feindliches – Verhältnis zwischen dem situativen Moment des Bühnenereignisses und dem literarischen Wort. (Ritter 1999, 11)
Die Arbeit am Text als Transformation eines schriftlich fixierten Textes in einen theatralen Text innerhalb des Proben- und Inszenierungsprozesses gestaltet sich im zeitgenössischen Theater auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Der Erarbeitungsprozess eines Textes kann vielfältige Erscheinungsformen hervorbringen, die sich grob einer realistischen, epischen oder performativen Spielweise (vgl. Stegemann 2011, 102 ff.; ebd. 2014, 163 ff.) zuordnen lassen. Zudem lassen sich verschiedene Sprechweisen beobachten, für die Stegemann die folgende Systematisierung vorschlägt: „Das Hervorrufen einer neuen Realität als Kennzeichen des narrativen Theaters, das sprechende Handeln als Kennzeichen des realistischen Theaters, die Formalisierungen des Sprechens und das moderierende Sprechen als Kennzeichen postmoderner Sprechweise.“ (Stegemann 2014, 192) (vgl....