Autorität, Übertitel und Hautfarbe in Milo Raus Five Easy Pieces
Erschienen in: Recherchen 155: TogetherText – Prozessual erzeugte Texte im Gegenwartstheater (12/2020)
I. Autoritätsfragen
Im Folgenden geht es am Beispiel von Five Easy Pieces um den Status von Text im Theater Milo Raus – abseits der Phantasien, die auf den Künstler Rau manchmal projiziert werden, der von einer als rein selbstreferentiell verstandenen Postmoderne genauso erlösen soll wie von einer zu naiven politischen Kunst. Im Theater Milo Raus und um es herum gibt es viel Text in Wort und Schrift: Es wird auf der Bühne viel gesprochen in seinen sich politischen Diskursen auch der unangenehmen Art öffnenden Projekten; über diese Theaterproduktionen, Performances und Happenings existieren viele Reden, Manifeste und Interviews. In solchen Äußerungen finden sich das auf der Bühne zu Sehende und zu Hörende als Ergebnisse einer intensiven Probe- und Recherchearbeit beschrieben, die einerseits maximal offen und vom »Zurücktreten des Regisseurs«1 geprägt ist: »Wenn die Proben beginnen, habe ich nicht die geringste Idee, was geschehen wird«2. Gleichzeitig beschreibt Rau sich als starken »Autor-Regisseur«3, der zwar am per se sozialen Ort Theater im Team arbeite und sich immer im europäischen Theater »unerwartete« »Ko-Autoren«4 suche (bis hin zu kongolesischen Bürgerkriegsparteien oder europäischen Rechtsradikalen), dem aber letztlich doch eine Gestaltungsaufgabe und -befugnis zukomme. Mit der Gleichzeitigkeit von Zurücktreten und Gestalten...