„Mir blieb das Weder-Noch“
Brief an Hans Mayer (23. August 1987)
von Adolf Dresen
Erschienen in: Recherchen 93: Der Einzelne und das Ganze – Zur Kritik der Marxschen Ökonomie (05/2012)
Brief an Hans Mayer175
Lieber Herr Professor Mayer,
als Ihr Brief vom 2. 5. in Hamburg ankam, war ich schon in Wien. Ich hatte gehofft, daß Dr. Drese Sie für einen Vortrag gewinnen könnte, oder doch für einen Besuch der Wozzeck-Premiere. Nun muß ich hoffen, Sie bei anderer Gelegenheit zu sehen – in Wien wäre es für mich auch fast unmöglich gewesen, zu einem ruhigen Gespräch zu kommen. Dabei hätte ich gern über Woyzeck-Wozzeck mit Ihnen gesprochen. Es ist doch sonderbar, daß nicht Büchner-Berg, sondern Büchner-Wagner Zeitgenossen waren. Sicher gibt es zwischen Berg und Musiker Wagner mehr Nähe als zwischen Büchner und Texter Wagner. Woyzeck war zu seiner Entstehungszeit sicher unvertonbar, die Musik wohl erst nach Schönberg soweit – ich glaube, durch den Verlust der Tonika, mit der sie ihr großes Wieder, ihr Zurück, ihr Nachhause verliert. Es kann kein Zufall sein, daß die Marie-Szenen die meisten tonalen Momente haben, ja daß das Nonplusultra der Tonalität, der C-Dur-Akkord, während der einzigen Begegnung Marie-Wozzeck liegenbleibt. Berg hat das Stück wohl gelesen als einen radikalen Verlust von Heimat, und die Musik macht die Heimatlosigkeit zur Unheimlichkeit. Ich hätte Sie gern zu einem Vortrag herausgefordert über diese Ungleichzeitigkeit der Woyzeck-Wozzeck....